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Vertrauen in den Deutschen

Landwirt Siegmund Dransfeld aus Paderborn ist Bürgermeister in Polen

Von Christian Althoff
und Stefan Hörttrich (Fotos)
Sakrau (WB). Zum ersten Mal hat ein polnisches Dorf einen Ausländer zum Bürgermeister gewählt - einen Landwirt aus Paderborn.

Seit sie ihn zum Soltys gemacht haben, wie der Ortsvorsteher hier heißt, ist Siegfried Dransfeld (47) keinen Abend mehr auf seinem Hof. Er macht Hausbesuche, schon seit vier Wochen. »Als Bürgermeister muss ich allen 138 Familien den kommunalen Steuerbescheid überbringen, und das dauert: Weil wir uns alle kennen, ist jeder Hausbesuch mit einem Plausch bei Kaffee und Kuchen verbunden. So erfahre ich auch den neuesten Dorftratsch«, lacht der Westfale.
Dransfeld bezeichnet sich als Globalisierungsopfer. 20 Jahre hatte der Tischler aus Paderborn-Wewer als Vorarbeiter die Forstwirtschaft einer Adelsfamilie geführt, bis Subunternehmer mit polnischen Arbeitern seinen Job übernahmen. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ersteigerte der Paderborner 1996 mit 470 000 Mark aus dem Verkauf eines Hauses ein 587 Hektar großes, ehemaliges Staatsgut im oberschlesischen Zakrzow (Sakrau) am Fuße des St. Annaberges, etwa 100 Kilometer südöstlich von Breslau. Bis 1993 hatten hier 150 Arbeiter Vieh- und Feldwirtschaft betrieben. Als Dransfeld das Gut übernahm, war es geplündert: »Die hatten sogar die Dachrinnen heruntergerissen, um das Metall zu verkaufen.«
Während seine Frau und die drei Söhne noch in Paderborn blieben und sich mit Sprachkursen auf den Umzug vorbereiteten, versuchte der Ostwestfale, den Betrieb wiederzubeleben. Dransfeld konzentrierte sich auf die Bestellung der Felder mit Weizen, Raps, Braugerste, Sonnenblumen, Hafer und Senf, die arbeitsintensive Viehwirtschaft ließ er ruhen. »Zum Glück hat mich Landwirt Johannes Jakobs aus meiner ostwestfälischen Heimat zwei Jahre mit Rat und Tat begleitet«, erinnert sich der 47-Jährige, der sich in Polen in Abendkursen zum staatlich geprüften Landwirt fortbildete. Trotz der Hilfe aus dem Westen - nicht alles Wissen konnte der Paderborner einfach übernehmen: »In Oberschlesien herrscht ein trockenes Klima. Wenn ein Bauer in Ostwestfalen 250 Körner auf dem Quadratmeter aussät, müssen wir 400 nehmen.« Auch seien viele westliche Traktoren auf den riesigen Feldern überfordert: »Die überhitzen und gehen kaputt«, sagt Dransfeld, der deshalb zwei russische »K 700«-Schlepper benutzt: »Die wurden gebaut, um Mittelstreckenraketen zu ziehen, und haben sich in den LPGs der DDR bewährt«, erklärt der Bauer, dessen Besitz sich in der Länge über 7,5 Kilometer und in der Breite über 1,5 Kilometer erstreckt.
Seine Bereitschaft, von den Einheimischen Ratschläge anzunehmen, habe ihm Respekt verschafft, glaubt der Paderborner. »Wenn man den Oberschlesiern mit Herz und Hand entgegenkommt, gehen die mit dir durch die Hölle«, sagt er, und auch seine Frau, die vor sieben Jahren mit den Söhnen nachgekommen war, ist voll des Lobes: »Die Menschen sind von einer Herzlichkeit und einem Anstand, wie wir es früher nicht gekannt haben«, sagt Claudia Dransfeld (44). Sie erledigt auf dem Hof die Buchhaltung, während Sohn Alexander (20) in Breslau Landwirtschaft studiert, Lars (19) in Oppeln Technische Landwirtschaft und Forstwirtschaft büffelt und Adrian (13) das Gymnasium in Gogolin besucht.
Den Betrieb führt Siegmund Dransfeld heute mit seiner Frau, einem Schlepperfahrer und einem Mechaniker, in der Erntezeit springen die Söhne mit ein. Durchschnittlich 2200 Tonnen Getreide pro Jahr ringt der Bauer den schweren Tonböden auf 440 Hektar ab. Seinen Entschluss, nach Polen zu gehen, hat er nie bereut - wenn es auch Tage gegeben hat, an denen er alles hinwerfen wollte: »Während meine Söhne und ich auf dem Feld waren, hat eine Bande auf unserem kleinen Nebengut eine Betondecke herausgeschlagen, um die Stahlträger erbeuten zu können.«
Anfang des Jahres baten dann einige der 518 Einwohner den größten Bauern des Dorfes, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Am 22. Januar gewann Dransfeld die Wahl mit einer Stimme Mehrheit vor seiner Amtsvorgängerin. »Jetzt erwarten die Menschen, dass ich ihre Probleme löse«, sagt der neue Soltys, der in den nächsten vier Jahren den sechsköpfigen Gemeinderat führt. Verstopfte Kanäle müssen repariert werden, die Dorfjugend möchte einen Fußballplatz haben, und Dransfeld soll den Kampf gegen die Stadt Gogolin aufnehmen, die die Grundschule in Zakrzow schließen möchte. »Die Menschen vertrauen mir und hoffen, dass ich neuen Wind in den Ort bringe.« Denn die Landwirtschaft liegt am Boden, die meisten Bewohner verdingen sich als Saisonarbeiter in Irland, den Niederlanden und Deutschland.
In seinem kleinen Dorf klopfen sie dem Deutschen auf die Schulter und gratulieren zur Wahl, aber in Warschau wird der erste ausländische Bürgermeister mit Argwohn betrachtet: »Das polnische Fernsehen versucht seit Tagen, im Ort etwas Negatives über mich zu erfahren«, sagt der Paderborner mit ernster Miene, aber dann lacht er wieder: »Die finden bestimmt nichts - weil es nichts gibt!«

Artikel vom 20.02.2007