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Tisch decken bei
Rechenschwäche

Fachtagung über Dyskalkulie

Bielefeld (sas). Spätestens, wenn im »Hunderter-Raum« addiert oder subtrahiert werden muss, fallen rechenschwache Kinder auf. Dann nämlich funktionieren ihr Zählstrategien nicht mehr. Und dann fällt oft erst auf, dass sie den Zusammenhang von Zahlen nicht verstanden haben. Dabei könnten Kinder mit »Dyskalkulie« - so der Fachausdruck - mit einfachen Mitteln schon eher entdeckt und gefördert werden.

»Sechs bis zehn Prozent der Kinder sind von Dyskalkulie betroffen«, sagt Friederike Vogt vom Bielefelder Verein Netz - Lernen und Entwicklung. Er hat eine Fachtagung über Dyskalkulie sowie Lese-Rechtschreib-Schwäche bei Kindern mit Migrationshintergrund veranstaltet. Teilnehmer waren 180 Lehrer, Psychologen, Logopäden und Erzieher aus der Region.
»Erste Anzeichen für eine Dyskalkulie gibt es schon im Kindergartenalter. Ein Indiz dafür kann sein, wenn Kinder nicht gerne puzzeln oder wenn sie keine Größenvergleichen anstellen. Ebenso, wenn sie mit Präpositionen wie hinter, vor oder unter nichts anfangen können«, erläutert die Pädagogin Vogt. Kinder- und Jugendpsychologische Praxen können testen, ob sich tatsächlich eine Rechenschwäche abzeichnet. »Und dann kann mit recht einfachen Mitteln geholfen werden. Ein Trick ist zum Beispiel, die Kinder einen Tisch für mehrere Personen decken zu lassen: Es braucht also zu jedem Stuhl einen Teller, einen Becher, einen Löffel. Und bei fünf Stühlen eben nicht sechs Teller«, sagt Vogt. Ebenso kann man die Kinder Socken sortieren oder aufräumen lassen. »Das alles kann schon ausreichen.«
Auf jeden Fall sollten Eltern und Lehrer reagieren, wenn ein Kind in der zweiten Klasse noch mit den Fingern zählt. »Das ist ein eindeutiges Indiz.« Hilfestellung können dann Fachleute in Beratungsstellen geben - ob bei der AWO, in Bethel, in Praxen oder in der Universität. »Sicher ist: Dyskalkulie verwächst sich nicht und kann eine Schullaufbahn entscheidend beeinflussen.« Und bei den Kindern entsteht schnell sozialer und emotionaler Frust, das Gefühl, zu versagen.
Zweites Thema der Tagung war die Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) bei Migrantenkindern. »Sie sind nicht häufiger von Legasthenie betroffen als Kinder mit Deutsch als Muttersprache, aber mangelnde Deutschkenntnisse verschleiern das Problem oft«, sagt Vogt. Auffälligkeiten gibt es bei ihnen schon beim Erwerb der Muttersprache - egal, ob das Türkisch oder Russisch ist.
Um eine klare Diagnostik zu bekommen, arbeiten Therapeuten mit Dolmetschern. Zehn bis zwölf, manche Fachleute sprechen gar von 15 Prozent aller Kinder haben eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. »Dabei kann man keine spezifischen Fehler benennen«, erklärt Friederike Vogt. »Die einen machen immer die gleichen Fehler, die anderen schreiben ein Wort auf fünf verschiedene Arten falsch.« Es kommt also auch hier auf die Diagnostik durch den Spezialisten an - und darauf, die Scheu zu überwinden, ein Kind zur Therapie zu schicken.

Artikel vom 23.02.2007