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Dezenter Aufzug könnte
den Kirchturm bereichern


Zu der geplanten Aussichtsplattform in der Altstädter Nicoliakirche gingen wieder mehrere Leserbriefe ein:

Quantitäten machen einander den Raum streitig - Qualitäten ergänzen einander (Spruchweisheit)
In Bielefeld aufgewachsen, melde ich mich aus Berlin zu Wort. Was mir auffiel an den Artikeln und Leserbriefen: ich finde keine Erwähnung der historischen Gestalt des Kirchturms.
Die hübsche Zeichnung im schlichten Rahmen an der Wand meines Arbeitszimmers zeigt eine kraftvolle barocke Haube. Da beeindruckt, wie das sich üppig weitende oktogonale Rund fast über den gemauerten Turm hinausgriff. Darüber der schlankere uhrenbewehrte Schaft von geringer Höhe. Auf ihm die Laterne mit der zweiten Haube, die sich elegant zu dem alles bekrönenden Kreuz hinaufschwang. - Für mich eine der schönsten Lösungen, die man seinerzeit für die Erneuerung mittelalterlicher Kirchtürme fand.
Die Kirche selbst, die ich im Kindergottesdienst lieben lernte - wie habe ich als Junge um sie gefürchtet, nachdem ich in Dortmund schon das bis auf Mauerreste und den Stumpf zerstörte St. Petri erlebt hatte! Und wie ähnlich war die hiesige Ruine dann jener!
Was Anfang der Fünfziger entstand - ich sehe mich noch in die Baustelle klettern -, fand ich samt Turm nie ganz überzeugend. Wie einst die warm umgebende gotische Halle konnte mich die neueröffnete Kirche nicht beheimaten. Doch sie hat längst ihre Geschichte.
Warum aber sollte dieser Turmaufsatz nicht ein bescheidenes gläsernes Rund aufnehmen, das dezent über das alte Gemäuer hinausschaut, um dann wieder dem harten Beton der Eckpfeiler den Vortritt zu lassen? Gut gestaltet, wäre vielleicht sogar der gläserne Aufzug eine ebenso moderne wie freundliche Anmutung.
Die Kirche in der Stadt - welch großes Thema! Einst die Menschen um sich scharend und in sich bergend, soll die Kirche auch heute einladend sein - in der Welt des Geschäfts, bei der immer härter werdenden Konkurrenz. Ermutigen will sie, einmal kurz innezuhalten - mitten im Lebenskampf - auf allen Ebenen. An guter Tradition ist sie reich. Auch die Baumeister schöpften aus ihrem Geist.
Zurück zum Turm. Die zu Recht strittige Geldfrage einmal beiseite, aber mit etwas Phantasie: Wenn ich in Zukunft an dem schier unumstößlichen Drum vorüberkomme und diesen Klotz ganz unvermutet als zugänglich empfinde - sogar mühelos nach oben -, könnte das ein Hinweis sein?
Ein Zeichen dafür, dass die Kirche auch hinter ihren altehrwürdigen Mauern mich empfängt, wie ich bin. Dass sie für jemand mit dem Lebensgefühl unserer Tage - im Vorbeigehen oder -hasten - etwas bereithält. Die Anregung, die Dinge einmal aus einem anderem Blickwinkel zu sehen. Die Eröffnung neuer Perspektiven. Nicht nur für den Sonntagsausflug, sondern durchaus für den Alltag. Um heute und morgen reicher und gewisser zu leben. (Und - vielleicht - eines Tages getrösteter zu sterben.) - Sicher, ein Hinweis nur.
Den Verantwortlichen wünsche ich eine mutige, wohlüberlegte und für Stadt und Kirche mit allen Betroffenen gute Entscheidung.
Herbet Lorenz10717 Berlin

Artikel vom 28.02.2007