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Impulsives Spiel
und ein Hauch
von Romantik

Alfred Brendel bei »Pro Musica«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Er ist ganz der Alte. Steuert im leicht gebeugten Gang den Steinway an, verbeugt sich kurz und erweckt dabei den Eindruck, als ginge ihm der ganze Konzertbetrieb fürchterlich auf die Nerven. Zügig beginnt Alfred Brendel seinen Vortrag. Ohne langes Herumruckeln und Insichgehen ist der Altmeister sogleich ins Spiel versunken.

Noch abgeklärter als vor drei Jahren wirkte der 75-Jährige diesmal bei seinem Soloabend im Rahmen der »Pro Musica«-Konzertreihe in der ausverkauften Oetkerhalle. Sowohl in seinem Auftreten als auch in seinen musikalischen Deutungen neigt Brendel wohl eher zu Understatement und emotionaler Zurückhaltung. Dabei unterzieht er die Werke einer messerscharfen formalästhetischen Obduktion, die Verbindungslinien sehr schön zutage treten lässt.
Im klassischen Repertoire verwurzelt, beginnt Brendel mit Haydns Klaviersonate Nr. 20 c-Moll, die den Endpunkt seiner expressiven Sturm-und-Drang-Phase markiert. In klarer Phrasierung und mechanisch brillanter Trennschärfe und Pointierung seziert Brendel den Dreisätzer, schält die orchestrale Dialogik im Moderato ebenso heraus wie die ausgeklügelten Überlagerungen im Allegro. In der Mitte: grüblerisch abgeklärtes Spiel in unaufdringlichem Legato.
Dem Kosmos Beethovenscher Leidenschaft trägt Brendel mit umwerfend ausgeklügelter Agogik Rechnung. Dadurch gewinnt die Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110 an einnehmendem Bewegungsdrive, der Pathos (im Kopfsatz) und grüblerische Depression (im Finale) überstrahlt. Besonders aber im Mittelsatz mit seinem rhythmisch stampfenden Bauerntanz und seiner sperrigen Geläufigkeit erreichte Brendel mit seinen Rubati ein Höchstmaß an Impulsivität und Ursprünglichkeit.
Nach der Pause zeigte sich der Grandsigneur des Pianos von seiner romantischen und verschmitzten Seite. Dass sich Brendel Zeit für Details nimmt, kommt den beiden Impromptus Nr. 1 f-Moll und Nr. 3. B-Dur von Franz Schubert besonders zugute. Dem sinfonischen Zuschnitt von Nr. 1 trägt er mit klar gesetztem Überkreuzspiel Rechnung, der volkstümlich melodische Ton von Nr. 3 kommt im empfindsamen Pianissimo-Bereich daher, später die Variationen in reich abgewandelter, expressiver Klangrede. Niemals aber lässt sich Brendel dazu verleiten, in süßlichem Pathos zu schwelgen. Seine Interpretationen offenbaren stets ein hohes Maß an Abstand und innerer Distanz.
Bei Mozarts Klaviersonate c-Moll KV 457 hält er die Stimmung stets in der Schwebe. Trotzdem wirken seine forschen Bewegungsimpulse im Allegro-Satz irgendwie gedrosselt, das zärtliche Adagio -Ê wieder mit traumschönen Rubati durchzogen -Ê dennoch abgeklärt, und das Molto allegro mit seinen messerscharf abgesetzten Phrasen changiert gekonnt zwischen Leidenschaft und Melancholie. Bei Brendel paart sich stets kunstvoll eine rationale Durchleuchtung der Werke mit makellosem manuellen Können. Und das hat seinen ganz eigenen Reiz.

Artikel vom 19.02.2007