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Soziale Gerechtigkeit wieder
gefragt - aus gutem Grund

DGB-Vize Ingrid Sehrbrock sieht CDU-Arbeitnehmerflügel im Aufwind

Von Reinhard Brockmann
Paderborn (WB). »Lange Zeit hat das Soziale in der Union kaum eine Rolle gespielt,« sagt Ingrid Sehrbrock, DGB-Vize-Chefin mit CDU-Parteibuch - und lächelt. Die lange als »Sozialromantiker« verpönten Erben Norbert Blüms spüren Oberwasser.
Ingrid Sehrbrock ist die CDU-Frau an der Seite von DGB-Chef Michael Sommer. In einer Kampfabstimmung gegen Ursula Engelen-Kefer wurde sie im Mai 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende.
Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der Arbeitnehmergruppe CDA in der Union, hat dem Sozialen zu neuem Stellenwert verholfen.
Nicht erst seit dem angekündigten Rückzug von Friedrich Merz ist das so. »Wir haben uns beim CDU-Bundesparteitag in Dresden gezeigt,« sagt Sehrbrock im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT und meint in aller Bescheidenheit, was andere als »Rückkehr der Blaumänner« feierten. Die Christdemokratische Arbeitnehmerschaft um CDA-Garant Karl-Josef Laumann brachte im November alle Anträge durchs Ziel, verdoppelte im Bundesvorstand ihren Einfluss und fand in Jürgen Rüttgers den stärksten Verbündeten gegen Merz, Merkel, Göhner und Co.
Weder jüngste Krokodilstränen um das schwindende wirtschaftspolitische Profil der Union »nach Merz«, noch reflexhafte Warnungen vor der »Sozialdemokratisierung der CDU« fechten Sehrbrock an. Im Kampf gegen prekäre, will sagen heikle Arbeitsverhältnisse für Leih- wie Zeitarbeiter, Praktikanten, Scheinselbständige und das riesige Heer der Hartz- und Kombilöhner weiß sie sich im Boot der Gerechten.
Als sie 1999 den Aufruf der Internationalen Arbeitsorganisation ILO für »anständige Arbeit« und existenzsichernde Löhne in die Hand bekam, dachte sie, »das ist etwas für Entwicklungsländer.« Inzwischen ist die Unmoral in Europa angekommen. 40 Prozent aller Jobs fallen in die früher unbekannte Gattung »prekär«. Sehrbrock warnt davor, Globalisierung als Gottgegeben hinzunehmen. »Wollen wir diese Entwicklung so laufen lassen,« fragte sie am Mittwochabend in Paderborn bei einer CDU-Grundsatzdebatte. Die dort um dem Vorsitzenden Bernd Schulz-Waltrup regen CDA-ler, aber auch Vertreter anderer Flügel folgten ihr zu gern bei der These, die Globalisierung müsse endlich gesteuert, sie wollte wohl sagen »an die Kandare genommen« werden. Niemandem ist es genehm, das zeigte eine breite Basisdebatte, dass unser Reichtum auf mangelndem Wohlstand anderswo gründet. »Verzicht will keiner leisten« beklagte Bernhard Mihm, »aber im Gegensatz zur alten Nationalökonomie gibt es keine Instanz, die eingreift.«
Der DGB selbst habe zum »Plündern der Rentenkassen« aufgerufen und zur Verschärfung der sozialen Lage beigetragen, ergänzte Alt-Landrat Joseph Köhler. Als der bekannt zupackende Paderborner Mittelstandschef Friedhelm Koch auch nach Konzepte und Perspektive bei der Dame von DGB vermisste, zeigte diese, welche Pässe auch bei der CDU über links gespielt werden.
»Zivilisiert den Kapitalismus« forderte Sehrbrock unter Bezug auf Marion Gräfin Dönhoffs Appell zu weltweiter sozialer Gerechtigkeit und rechnete haarklein vor, dass ein 100-Euro-Turnschuh von Adidas den Näherinnen in Fernost gerade 40 Cent bringe. Die Rente mit 67 - »das ist Kürzung« - will sie der eigenen Partei ebenso wenig durchgehen lassen wie sie den Ausbildungspakt mit der Wirtschaft gelten lässt. Zugleich nahm die CDU-Frontfrau an der DGB-Spitze Kurs auf das neue, unerschlossene Klientel der Gewerkschaften: Die Generation Praktikum. 41 Prozent aller Uniabsolventen machten mindestens ein Praktikum, die Hälfte von Ihnen für lau. Dabei gehe es nicht ums Lernen, sondern um Mitarbeit, wie der DGB jüngst in einer großen Studie dokumentierte.
»Wer kann sich da noch private Altersvorsorge leisten?« Bestimmt nicht die, die wegen geringer Einzahlungen im Alter am wenigstens zu erwarten haben, zieht Sehrbrock eine direkte Linie zur kommenden Rentnergeneration. Noch im Herbst hatte sich Rüttgers vor deren »Schonvermögen« beim Bezug von ALG II gestellt, erinnerte Sehrbrock und fand, dass die Medien zum Thema soziale Gerechtigkeit zurück gefunden hätten. »Hungerlöhne selbst im Tarifbereich« sieht Sehrbrock im Erzgebirge (3,50 Euro) sowie für Reinigungskräfte und Wachleute, die mit weniger als fünf Euro unmöglich ihr Auskommen fänden. »Soll der Staat etwa draufzahlen?« mahnt die Katholikin Verantwortung der Wirtschaft an und findet es richtig klasse, dass das neue CDU-Grundsatzprogramm ein »Recht auf Sicherheit« formuliert. Das Finanzministertreffen in Essen habe gerade die Hedge-Fonds gegen den Widerstand der USA und Großbritanniens aufs Korn genommen, trumpfte Sehrbrock ob der neuen Bedeutung des Sozialen sichtbar auf und zeigte keine Angst vor Heuschrecken - weder global betrachtet noch innerhalb der Union.

Artikel vom 16.02.2007