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Probleme und viel Herzblut

»Irina Palm« ist erste Anwärterin auf einen Bären bei der Berlinale

Von Klaus Gosmann
Berlin (WB). Die Zeit der großen Frauen auf der Berlinale ist angebrochen. Die Namen: Judi Dench, Cate Blanchett, Sharon Stone und Marianne Faithfull.

Zu den bislang besten Filmen im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele (unverständlicherweise außer Konkurrenz) gehört »Tagebuch eines Skandals«: ein psychologisches Drama, in dem Cate Blanchett eine Lehrerin verkörpert, die mit einem ihrer minderjährigen Schüler eine Affäre hat. Ihre vereinsamte, wesentlich ältere Kollegin Barbara (Judi Dench) kommt hinter das Geheimnis und will die verheiratete Mutter zweier Kinder damit erpressen und langfristig an sich binden.
Judi Dench als vordergründig rational gesteuerte Giftspritze: genial und zu Recht nominiert für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin. Die mit dem »Tagebuch«-Film für einen Nebendarstellerinnen-Oscar ins Rennen gehende Blanchett als oft fremdbestimmte Berufsjugendliche: sehr differenziert. Regisseur Richard Eyre (»Iris«) inszenierte das Ganze auf wohltuend kurzschweifige 92 Minuten gestrafft fast wie ein bösartiges Märchen.
Auch Sharon Stone verkörpert im Wettbewerbsbeitrag »When a man falls in the forest« eine emotional verkümmerte Frau. Unter der Regie von Ryan Eslinger geht es in diesem Ensemble-Film um den Kleinstadt-Alltag im Mittleren Westen der USA, offensichtlich einer Hochburg des Schweigens mit wenigen, aber dennoch zu vielen Worten. Sie klaut aus Frustration Klamotten. Ihr von Timothy Hutton gespielter Ehemann ist ein Architekt, von dem man annimmt, dass er sich eher von seiner Frau als von seiner Baseballkappe trennen würde. Er nimmt Schlafmittel, der Kinogänger braucht diese nach zeitweile quälenden 85 Minuten nicht mehr.
Wesentlich existentiellere Probleme hat die von Marianne Faithfull im Wettbewerbsbeitrag »Irina Palm« mit viel Herzblut dargestellte britische Witwe Maggie. Es gilt, einen Krankenhausaufenthalt für ihren schwerkranken Enkel Olly zu finanzieren. 6000 Pfund fehlen, ihr Sohn ist arbeitslos und apathisch, Maggie zu alt für einen normalen Job. Schließlich findet sie Arbeit in einer Rotlicht-Bar in Soho. In einem englischen Film würde man aus dieser Grundkonstellation eine schnurrige Klamotte im Stile von »Calendar Girls« zusammen zimmern.
Unter der Regie des belgischen Regisseurs Sam Gabarski entstand daraus eine berührende Tragikomödie mit einem etwas zu dick aufgetragenen, unrealistischen Finale. Heiße Anwärterin auf einen Silbernen Bären als beste Darstellerin ist seitdem die Sechzigjährige, die nie eine Schauspielschule besucht hat: Marianne Faithfull. Wichtig ist der Sixties-Ikone, dass die Halbwelt, in der Maggie ihr Geld verdient, im Film nicht verklärt wird: »Für Frauen ist das kein Spaß: Ich kannte Frauen in dem Gewerbe, die mittlerweile tot sind.« Sie lebt und geht demnächst wieder als Sängerin auf Tournee.

Artikel vom 14.02.2007