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Kleiner Chris braucht nicht einmal einen Gips

Zweijährige Schwester Melissa erlebt Fenstersturz mit

Von Christian Althoff
Paderborn (WB). Über diesem Kind muss eine ganze Schar Schutzengel gewacht haben: Ein dreijähriger Junge hat in Paderborn einen Sturz aus zehn Metern Höhe leicht verletzt überlebt. »Der vom Regen durchweichte Boden hat den Aufprall abgefedert«, sagte Polizeisprecher Michael Biermann.

Das St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn, Zimmer 306. Chris liegt in einem viel zu großen Erwachsenenbett und lächelt, als die Tür aufgeht und sein Vater hereinkommt. Siegfried Gerken (51) streicht seinem Sohn über die Haare und sagt mit leiser Stimme: »Ich bin so froh, dass er lebt. Wenn ich daran denke, wie oft der Junge auf mich verzichten musste, weil ich 13 Stunden gearbeitet habe oder sogar Doppelschichten. . . Das muss sich jetzt ändern, ich will mehr bei meinen Kindern sein«, sagt der 51-Jährige, der für eine Zeitarbeitsfirma Tischlerarbeiten ausführt.
Der Unfall war am Sonntagnachmittag gegen 15.45 Uhr passiert. Siegfried Gerken hatte sich hingelegt, weil er gesundheitlich angeschlagen war, seine Frau Erina (35) saß in der Küche und telefonierte. Da schob der dreijährige Chris unbemerkt einen Sessel an den Wohnzimmerschrank, kletterte hoch und erreichte so das Fach, in dem das Ehepaar die Schlüssel für die Fenster aufbewahrte. »Als unsere Kinder krabbeln konnten, habe ich die üblichen Fenstergriffe gegen abschließbare ausgetauscht. Ich wollte genau das verhindern, was dann doch passiert ist«, erzählt der Vater kopfschüttelnd.
Chris turnte auf die Fensterbank, drehte den Schlüssel herum und öffnete das Fenster. Seine Schwester Melissa (2) sah zu, wie ihr Bruder aus Spaß Hörspielkassetten nach draußen warf. Als er die vierte Kassette hinausgeworfen hatte und ihr hinterhersehen wollte, verlor der Junge das Gleichgewicht. Er stürzte schreiend zehn Meter in die Tiefe und schlug auf dem Rasen auf.
»Melissa rief: Chris ist aus dem Fenster gefallen!«, erinnert sich der Vater. Er stürzte ins Wohnzimmer und sah nach unten. »Als ich meinen Jungen dort unten liegen sah, ist mir für einen Moment schwarz vor den Augen geworden. Dann sind meine Frau und ich sofort hinuntergerannt.«
Ein Autofahrer hatte im Vorbeifahren den Unfall miterlebt und sofort Polizei und Notarzt alarmiert. Eine Nachbarin kam mit einer Decke gelaufen, um den Jungen zu wärmen. »Ich wollte nicht, dass wir Chris bewegen, weil ich Angst hatte, dass er sich die Wirbelsäule gebrochen hat«, erinnert sich der Vater. Chris sei bei Bewusstsein gewesen und habe geweint. »Ich habe ihn in den Arm genommen und getröstet, bis die Sanitäter da waren«, sagt Erina Gerken.
Die Mutter begleitete den Dreijährigen ins Krankenhaus und wich ihm nicht mehr von der Seite. Gestern Nachmittag erfuhr die 35-Jährige dann endlich, dass ihr Sohn Riesenglück gehabt hat und die Ärzte keine bleibenden Schäden befürchten. Oberarzt Dr. Marcus Luft: »Wir haben den Jungen seit seiner Einlieferung dreimal per Ultraschall untersucht, um das Entstehen innerer Blutungen ausschließen zu können. Außerdem haben wir Chris geröntgt und im Kernspintomographen untersucht.« Der Befund: Der achte und der neunte Brustwirbel sind angebrochen - weil Chris mit dem Gesäß aufgeschlagen war und die Wirbelsäule dabei gestaucht worden ist. »Das verwächst sich aber von selbst, da brauchen wir weder Gips noch ein Korsett«, erklärt der Unfallchirurg.
Der Oberarzt sagte, Chris habe unwahrscheinliches Glück gehabt: »Ich kenne Fälle, in denen Menschen von einer ein Meter hohen Leiter gestürzt sind und schwerste Wirbelsäulenschäden davongetragen haben.« Dem Kind sei zugute gekommen, dass das Skelett bei einem so jungen Menschen elastischer sei als bei einem Jugendlichen oder gar einem Erwachsenen.
Eine Woche soll Chris noch im Krankenhaus beobachtet werden, dann darf der Junge, der im Juli vier Jahre alt wird, wieder nach Hause. »Wir werden uns den 11. Januar im Kalender anstreichen. Denn künftig kann Chris zweimal im Jahr Geburtstag feiern«, lächelt die Mutter.

Artikel vom 13.02.2007