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Evangelische
Ruhe und
Kontemplation

Bach-Chor sang Matthäus-Passion

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Der Haller Bach-Chor und sein versierter Leiter Martin Rieker sind in Bielefeld gern gesehene Gäste. Gastieren sie, wie in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal geschehen, in der Altstädter Nicolaikirche, um das Abschlusskonzert der Haller Bach-Tage »da capo« zu geben, bleibt auch nicht ein Platz frei.

Kein Wunder, reicht der ausgzeichnete Ruf doch weit über Halle hinaus und steht das Label »Bach-Tage/Bach-Chor« zweifelsfrei für Qualität. Martin Rieker unterstreicht diesen Anspruch noch einmal durch eine historische Aufführungspraxis von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion, die auch so schon an Aufwand und Anforderung kaum zu überbieten ist.
Doch der erfahrene Kantor hat vorgesorgt und nebst einem feinen Spezialistenorchester auch ausgezeichnete Gesangssolisten verpflichten können. Allen voran Christoph Prégardien, einen der herausragendsten lyrischen Tenöre unserer Zeit, der den Mega-Part des Evangelisten mit betörender Ausdrucksdramatik nebst melodischem Melos auskleidete und in den Arien Seelennot und Freude (Ich will bei meinem Jesu wachen) sowie Spott und Rache (Geduld!) in lebendiger Klangrede versprühte.
Der namhafte Bass Peter Lika stand ihm in Bezug auf Klangrundung, Facettenreichtum und Ausgestaltung in nichts nach. Mittlerweile ist Sohnemann Maximilian Lika (21) zu einem ihm ebenbürtigen Sänger und Partner herangereift. Dessen von der Kanzel tönende Christus-Vergegenwärtigung vereinte stilsicher und völlig ungekünstelt die kreatürlich-traurige Dimension des Gottessohns mit prophetischer Unbeirrbarkeit. Dies alles mit betörendem baritonalen Schmelz, der unverwechselbar und einzigartig scheint.
Bestens besetzt auch die Frauenstimmen: Cornelie Isenbürger (Sopran) unterstrich hier wieder einmal mit unmanirierter Strahlkraft, dass sie neben dem Opernfach auch zur einfühlsamen Oratoriensängerin taugt. Alexandra Rawohl, kurzfristig für die erkrankte Gerhild Romberger eingesprungen, erfüllte ihren Part mit einnehmend weitem Atem und Ausdruck, stets durchdrungen von warmer und inniger Klanggebung.
Das Hannoveraner Ensemble aperto greift bei Gelegenheit aufs historische Instrumentarium zurück und bewies diesbezüglich profunde Kenntniss und Güte. Homogener Streichergrund und erstsklassige Solisten gaben der Aufführung ihr Fundament im warmen, obertonreichen Klanggewand. Freilich kommt der Klang gedämpfter herüber als bei modernen Instrumenten. Eine entsprechende dynamische Anpassung im ausgewogen und bis auf wenige Stellen sattelfesten Chor war die logische Folge.
Alles richtig. Und doch stellte sich über die Dauer von drei Stunden der Eindruck ein, dass hier das enorm große Potenzial nicht vollends ausgeschöpft wurde. Griffig-barockes, plastisches Ausmusizieren blieb die Ausnahme. Der Chor wirkte trotz ausgewogener Klangbalance und -geschmeidigkeit oft blutarm, die Turbae ohne Biss. In Tempo und Dynamik blieb Rieker überdies zurückhalten, so dass die Wiedergabe viel evangelische Ruhe und Kontemplation, dafür (zu?) wenig Dramatik enthielt. Das Publikum zeigte sich gleichwohl angetan und applaudierte lang.

Artikel vom 13.02.2007