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Anmut schlägt Armut - überall
Die Welthungerhilfe geht mit jungen deutschen Designern neue Wege der Entwicklungszusammenarbeit
Schönheit und Mode sind keine Frage von arm oder reich. Ob in Afrikas Dörfern, den Hochlanden Lateinamerikas oder auf den Catwalks der Modezentren zwischen Mailand, Düsseldorf und Paris: Freude an Farben, Schnitten und Material verbindet die Welt.
Überall schmücken sich Menschen mit Kleidung und setzen Akzente durch Outfits. Kein Luxus, im Gegenteil: Den Ärmsten ist Kleidung oft der einzige Besitz, dessen Pflege die ureigene Würde bewahrt. »Besonders arme Menschen achten auf ihre Kleidung, selbst wenn sie nur ein oder zwei Saris besitzen«, hat Regina Köthe von der Deutschen Welthungerhilfe in Indien wie in Afrika beobachtet.
Sie leitet von Berlin aus die Aktion Weltgewänder, die neue Wege der Entwicklungszusammenarbeit weist. Es gilt den großen Schatz traditionellen Reichtums in Textilien und Stoffen zu heben. Ob Westafrika oder die Hochanden: Kreatives Potenzial, Geschicklichkeit in der Herstellung und Freude am Tragen beweisen sich global. »Etwa in Mali, einem der ärmsten Länder der Welt, ist Mode für jedes Fest von allergrößter Wichtigkeit«, weiß Regina Köthe. In Malis Hauptstadt gibt es eben noch den Schneider an jeder Ecke, von dort stammt auch eine der wenigen jungen und bereits erfolgreichen Designerinnen Westafrikas: Mimi Konaté. Ihre Entwürfe haben den seltenen Sprung geschafft, der Globalisierung zur Zweibahn-Straße macht.
Die Aktion »Weltgewänder« hat neun wichtige deutsche Modeschulen ins Boot geholt, um einer großen Öffentlichkeit zu zeigen, dass Freude am Schönen total global ist, dass Anmut Armut schlagen kann - und zwar weltweit.
Die Fachhochschule Bielefeld ist mit zehn Entwürfen dabei. Es gilt, den Blick zu schärfen für die Reichtümer einer ganzen Welt.
»Was das Übel der Armut vergrößert, ist die Geringschätzung«, schrieb schon der Philosoph Immanuel Kant. Für Köthe ist die Begegnung junger Kreativer mit Stoffen aus vermeintlich weniger entwickelten Regionen ein Geben und Nehmen. »Seht den Reichtum, der dort ist«, hat sie den Modeschülern mit auf den Weg zu ihrem »Prêt à porter« gegeben. Es gelte mehr darüber zu wissen, wo die angehenden Modemacher künftig Materialien ordern. »Ist Kinderarbeit ausgeschlossen?« Und: »Wer hat die feinen Stickereien gearbeitet?«
Vorgegeben sind den Studenten Stoffe aus Projektländern der Welthungerhilfe - luftige Seide aus Indien, gewachste Baumwolle mit Stempelmuster aus Mali und handgewebter Wollstoff aus Peru. Letzterer lag in Bielefeld auf den Schneidertischen. Ergänzt wurde der ostwestfälische WettBeitrag um ausgesuchte Materialien - spendiert aus dem Fundus der JAB-Anstoetz GmbH.
Professor Kai Dünhölter, Bielefeld, weiß um das Interesse am eigenen Stil: »Jeder Mensch auf der Welt ist über eine kurze Kette von Bekanntschaften mit jedem anderen Menschen verbunden.« Kommunikation fordere alle Sinne. Der Umgang mit Stoffen, Identitäten und Gefühlen fördere respektvollen Umgang und die Wertschätzung der Einzigartigkeit des anderen. Ob wirtschaftlich, kulturell oder auch spirituell, die globalisierte Welt vermischt Einflüsse und Bedingungen.
Ein wenig respektlos nennen Dünhölters Studenten ihren Beitrag »Zusammengenäht«, aber fiebern dem Finale in Berlin Mitte März entgegen. Dort werden ihre Entwürfe von Profi-Modellen präsentiert und vor 1000 Gästen ins Rampenlicht gerückt.
Bevor in der Bielefelder Fachhochschule gezeichnet und genäht wurde, setzten sich die Studierenden mit Perus kulturellen Besonderheiten auseinander. Den Blick auf die vorgegeben Wollstoffe aus dortiger Provenienz gerichtet, galt es, die Eigenarten und Errungenschaften der Indio-Gesellschaft aufzuspüren.
Zugleich mussten die aus dem südamerikanischen Kulturraum geschöpften Inspirationen in Bezug zur europäischen Bekleidungskultur gesetzt werden. Das Ergebnis sind zehn Modelle für Berlin vom Avantgardistischen, über das Abendliche bis zur Sportswear.
Christina Modersohn hat (ganz links) den typischen Indio-Hut modern interpretiert. Den schweren Anden-Wollstoff zerlegte sie dazu total, fügte alles neu zusammen und zauberte einen Hauch von Hochland-Haute Couture daraus.
Rafael Erfurth, der einzige männliche Bewerber aus Bielefeld, lässt sein Modell einen schneeweißen Herren-Frack tragen, ergänzt um den Indio-Poncho als lockeres Cape.
Zur makellosen Präsentation gehört das perfekte Foto-Shooting: Die zwei hier abgebildeten Entwürfe wurden fotografiert von Jennifer Endom.
Reinhard
Brockmann

Artikel vom 03.03.2007