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Die USA haben ihre
Unschuld verloren

Intelligentes Historiendrama »Der gute Hirte«


Mit seiner zweiten Regie-Arbeit »Der gute Hirte« ist Hollywoodstar Robert De Niro ein packender Reißer, eine faszinierende Psychostudie und ein bewegendes Historiendrama gelungen. Worum es De Niro mit der aufwühlenden Geschichte um die Entstehung und die ersten Jahrzehnte der CIA vor allem geht, belegt einer der zentralen Dialogsätze des Films: »Du musst herausfinden, was hinter den Worten steckt, um ihren wirklichen Sinn zu verstehen«. Diese Sentenz zielt auch auf die amerikanische Gegenwart.
Hier und an vielen anderen Stellen entfaltet der Film seine nie vordergründige, dabei durchweg um so kraftvollere politische Position: »Der gute Hirte« reflektiert das Drama eines Staates, der die Ideale einer menschenfreundlichen Gesellschaft für eine teils schon paranoide Weltherrschaftsgier verrät.
Folie für die Spiegelung des Verlustes aller gesellschaftlichen Unschuld in God's own country ist die Entwicklung von Edward Wilson (Matt Damon), einem Meisterspion und Gestalter der CIA. Wilson ist kein schillernder James-Bond-Typ, sondern ein penibler Büro-Tiger. Begriffe wie Ehre, Idealismus und Wahrheit gehen ihm über alles. Scheint er als Student Ende der 1930er Jahre ein Mann mit vielen Optionen zu sein, offen für die Welt, so verengt sich später sein Blick, wird er zum kleingeistigen Geheimdienstboss und schließlich zum kalten Bannerträger der Reaktion. Die Lüge ist sein Geschäft. Doch in diesem Spiel wird seine Persönlichkeit aufs Schlimmste deformiert.
Robert De Niro präsentiert seine intelligent entwickelte, schleichende persönliche Katastrophe einer Marionette der Macht ohne erhobenen Zeigefinger, aber als typisch für die Entwicklung der USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Formal ist der Film stark von Rückblenden und Zeitsprüngen geprägt. Schlüsselfigur ist der gealterte Wilson zur Zeit der von der CIA unterstützten und kläglich gescheiterten Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht 1961, das folgenreiche Desaster der USA im Kampf gegen den Kommunismus auf der Karibikinsel. Ein Mann im Abseits, ein Land im Abseits. Die Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar, ohne das dies ausgeleuchtet wird.

Artikel vom 15.02.2007