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Hauptmann-Stück
versäuft im Pool

Schauspieler holen sich nasse Füße

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Nicht nur in den Theater-Hochburgen zelebrieren profilneurotische Regisseure gern ihre Klassiker-Hinrichtungen. Auch in Ostwestfalen greift man jetzt beherzt zum dramaturgischen Fallbeil.

Während in Bielefeld Shakespeares »Hamlet« aufs Schafott geführt wird, geht es in Paderborn Gerhart Hauptmann an den Kragen. An den Westfälischen Kammerspielen bedient sich Gastregisseur Michael Neuwirth einer besonders perfiden Exekutionsmethode, indem er dessen Drama »Einsame Menschen« skrupellos ersäuft.
Eigentlich geht es in dem 1891 uraufgeführten Schaustück um die Balance zwischen gesellschaftlicher Konvention und individueller Freiheit, um die Berechtigung revolutionärer Ideen im Regelwerk überlieferter und vielleicht doch überholter Gesetzmäßigkeiten.
Der große deutsche Theatermann und Nobelpreisträger Hauptmann untersucht die Fragestellung in seinem selten gespielten Drama anhand einer Familiensituation, die er im eigenen Verwandtenkreis ähnlich erlebt hat. Er lässt eine junge, intelligente und selbstbewusste Frau zum Prüfungsfall für eine nur äußerlich intakte Ehe werden. Johannes Vockerat, ein erfolg- und brotloser Akademiker, fühlt sich zu der Zufallsbekanntschaft hingezogen, weil er von ihr erstmals so etwas wie Anerkennung, Bestätigung und geistvolle Anregung erfährt. Das eigene Familienleben zerbricht unter der weitgehend platonischen, wenngleich zunehmend belastenden Freundschaft.
Ein dankbares Feld also für jeden psychologischen Sämann. Neuwirth aber lässt das zarte Beziehungspflänzchen nicht behutsam wachsen. Er schubst sein Ensemble gleich in einen knöcheltief mit Wasser gefüllten Terrassen-Pool, in dem es sich über die gesamten zweieinhalb Stunden Spieldauer nicht nur nasse Füße holen muss.
Die Folge sind gurgelnde und platschende Auf- und Abgänge, ertränkte Dialoge und hilflose Spritz- und Rutschaktionen ohne einen plausiblen Bezug zu der Handlung und der Problemstellung.
Auf diesem Wasserspielplatz können einem die Darsteller nur noch leid tun. Abgesehen von den gesundheitlichen Risiken des feuchten Spektakels bleibt wenig Raum für die Entwicklung der einzelnen Charaktere, die vollauf mit diversen Kletter-, Spritz- und Tauchaktionen beschäftigt sind. Überflüssig zu erwähnen, dass die Plantscherei auch keinerlei Aufschlüsse über die Tatmotive des eigentlichen Bühnengeschehens zulässt. Ach Hamlet, was hast du's in Bielefeld doch gut!

Artikel vom 10.02.2007