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Gerichte stellen zunehmende Verrohung fest

Richterbund-Vorsitzender  Friehoff nach dem Helmholtz-Überfall: Nicht verharmlosen

Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). Der Überfall im Helmholtz-Gymnasium wird auch von der Bielefelder Justiz als beispielloser Höhepunkt jugendlicher Gewaltdelikte betrachtet. Zudem beklagte Jugendrichter Christian Friehoff am Freitag gegenüber dem WESTFALEN-BLATT die zunehmende Verrohung in Bezug auf Gewaltdelikte, die erstmals ein Gymnasium erreicht habe.

Zwei Jugendliche hatten am Dienstag den Sportunterricht der Klasse 11c des Helmholtz-Gymnasiums überfallen und sich nach eigenen Geständnissen dabei der Mithilfe zweier Schüler aus der Klasse bedient (siehe nebenstehenden Kasten). Christian Friehoff, der Vorsitzende der Bezirksgruppe Bielefeld im Deutschen Richterrat, ist seit sieben Jahren Jugendrichter und zugleich Vorsitzender eines Jugendschöffengerichtes am Amtsgericht Bielefeld. Nach seiner Ansicht ist lediglich die Tatausführung in der Sporthalle angesichts »mangelnder Professionalität« an Dummheit kaum zu überbieten - die Tat und das Delikt selbst hingegen nicht. Seine Kollegin Astrid Salewski hatte gegen die Täter, den 16-jährigen Hüseyin A. und seinen 17-jährigen Komplizen Reyland D., einen Haftbefehl wegen der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub verkündet, die Haftbefehle indes sofort außer Vollzug gesetzt.
Friehoff: »Allein erpresserischer Menschenraub ist eine Tat der Schwerstkriminalität, kann also kaum als Dummheit beschönigt werden.« Für einen erwachsenen Straftäter gebe es dafür eine Mindeststrafe von fünf Jahren Haft. Jugendliche oder Heranwachsende würden nach Jugendrecht selbstverständlich wesentlich milder beurteilt.
Raub- und Gewaltdelikte seien in der Tat »unser täglich Brot«, sagte der Jugendrichter. Dabei handelt es aber in Fällen von Raub oder räuberischer Erpressung vornehmlich um sogenanntes Abziehen in Schülerkreisen, nicht um Überfälle auf Geldinstitute. Beim Abziehen haben es die Täter bei Gleichaltrigen in der Regel auf Mobiltelefone, MP3-Player, Discman und kleine Geldbeträge abgesehen. Oft gingen die jugendlichen Straftäter sogar »zurückhaltend« vor, ließen sogar Geld oder aber die SIM-Karte aus Handys zurück. Friehoff mutmaßt: »Offensichtlich, damit die Schmerzgrenze nicht ausgereizt wird.« Offenbar wollten die Täter auf diese Weise auch einer Strafanzeige vorbeugen.
Tatsächlich sind Gewaltdelikte nach den Erfahrungen der Richter auch auf Schulhöfen und im Umfeld von Schulen an der Tagesordnung. »Wir stellen eine zunehmende Verrohung fest. Früher hörte die Prügelei auf, wenn das Opfer am Boden lag, heute wird noch weiter zugetreten.« Auch Delikte mit Erniedrigungscharakter seien nicht mehr selten.

Artikel vom 10.02.2007