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Wort zum Sonntag

Von Pfarrer em. Hans-Jürgen Feldmann

Hans-Jürgen Feldmann ist Pfarrerim Ruhestand.

In diesem Jahr jährt sich zum 30. Male der sogenannte »Deutsche Herbst«. Das waren jene schrecklichen Monate des Jahres 1977, in denen reihenweise Führungskräfte aus Wirtschaft und Justiz, aber auch deren Begleiter, Kraftfahrer sowie Sicherheitskräfte, kaltblütig ermordet wurden, und es sollten wohl noch umandere gebracht werden. Diese Verbrechen verübte eine Terroristengruppe, die sich selbst »Rote Armee Fraktion« (RAF) nannte.
Denen schwebte eine kommunistische Gesellschaftsform vor. Die Bundesrepublik dagegen hielten sie für einen im Kern noch immer nationalsozialistischen Unrechtsstaat, den sie meinten, als solchen vorführen, bloßstellen und bis aufs Messer bekämpfen zu müssen. Sie waren aufgrund ihrer Ideologie davon überzeugt, einer guten Sache zu dienen und mehr Gerechtigkeit anzustreben. Wie so oft zog sich aber auch diesmal das Teuflische den Mantel des Humanen an, um in solcher Maskierung unerkannt zu bleiben. Daher fehlte diesen Leuten auch völlig das Unrechtsbewußtsein für ihr eigenes Tun. Sie wiesen es weit von sich, Kriminelle zu sein, sondern verstanden sich als Revolutionäre, denen die Geschichte Recht geben werde.
Soweit man sie überführen konnte, wurden sie zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Da aber der Ausdruck »lebenslänglich« und selbst »mehrfach lebenslänglich« nicht buchstäblich gilt, befinden sich einige von ihnen längst wieder auf freiem Fuß, und auf andere wartet die Freiheit, so - in den nächsten Wochen - auf Brigitte Mohnhaupt. Deren bevorstehende Entlassung ermunterte nun ihren Mitgefangenen Christian Klar, den Bundespräsidenten um Begnadigung zu bitten, und das, obwohl er in zwei Jahren ohnehin freigekommen wäre. Darüber wird derzeit heftig diskutiert und in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob Klar denn auch bereit sei, sich für seine Vergangenheit zu entschuldigen.
Aber gibt es dafür überhaupt eine Entschuldigung? Wörtlich hieße das ja, sich seiner eigenen Schuld zu entledigen. Und das vermag niemand. »Entschuldigung« sagen wir daher, wenn wir uns ungeschickt, vielleicht sogar tölpelhaft benommen haben, wenn uns ein unbedachtes Wort über die Lippen kam, das wir anschließend bedauern. Ob unsere Entschuldigung aber auch angenommen wird, steht freilich bereits bei Kleinigkeiten auf einem anderen Blatt, und ungeschehen machen läßt sich durch sie überhaupt nichts.
Eine wirkliche Schuld ist ohnehin von anderer Qualität. Sie läßt sich nicht entschuldigen, sondern sie kann nur vergeben werden. Dazu jedoch ist ein verletzter Mensch nicht schon im Gegenzug moralisch verpflichtet, nur weil der andere dies begehrt und darum bittet. Er vermag vielleicht noch gar nicht zu vergeben, weil die durch die Schuld geschlagene Wunde noch nicht vernarbt ist. Was die Angehörigen der Ermordeten empfinden, wenn Christian Klar begnadigt und vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen würde, darf deshalb nicht aus dem Komplex ausgeklammert werden, zumal dieser bisher nichts dazu beigetragen hat, die Morde von 1977 aufzuklären.
Wo es um die Frage der Begnadigung geht, argumentieren Christen vielfach von der Gnade Gottes her, die ja auch nicht an Bedingungen geknüpft sei, welche der Mensch erst zu erfüllen hätte. Die Einsicht in das eigene Unrecht könne ja auch später einsetzen - dadurch, daß jemandem zuvor Gnade zuteil geworden sei. Und in der Tat: Im Wirken Jesu war das vielfach so. Er behaftete den Menschen nicht auf seine - dunkle - Vergangenheit, sondern behandelte ihn als das von Gott geliebte Geschöpf, dem Gott seine Liebe nicht entzieht, was immer auch geschehen sein mag.
Es fragt sich allerdings, ob und, wenn ja, in welcher Weise sich dies auf den Bereich der Rechtsprechung und den Akt der Begnadigung durch ein Staatsoberhaupt übertragen läßt. Auf jeden Fall muß zu denken geben: Gottes Gnade nimmt den Menschen zwar so an, wie er ist, aber sie hofft, daß er nicht so bleibt, wie er ist, sondern sich verändert.

Artikel vom 10.02.2007