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Kopfschütteln bis Entsetzen nach Raub in Wildwestmanier

Innenminister prüft Bielefelder Überfall - Bislang einmaliger Vorgang

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Politiker wie Praktiker schüttelten gestern den Kopf: Von einem Überfall in Wildwestmanier auf eine ganze Schulklasse hatte in NRW bislang noch niemand etwas gehört. Schnell bestand Einigkeit mit Schulministerin Barbara Sommer: »Keine Toleranz«.
Ministerin Barbara Sommer zeigte sich bestürzt.

Die Bielefelder Ex-Schulrätin reagierte mit Bestürzung auf den Überfall zur Unterrichtszeit. Sie erinnerte an Fälle von Misshandlungen, die Schüler untereinander verübten. In all diesen Situationen könne es keine falschen Rücksichten geben, Täter seien mit den gebotenen Mitteln zu verfolgen.
Auch aus dem Innenministerium hieß es, ein vergleichbarer Fall sei nordrhein-westfälischen Polizeibehörden bislang nicht untergekommen. Minister Ingo Wolf habe sich über das Ereignis persönlich unterrichten lassen, um ein umfassendes Bild der Lage zu gewinnen. Nach dem Amoklauf von Emsdetten wandte sich die Polizei an alle 6200 Schulen in NRW, um Beratungs- und Präventionsprogramme anzubieten, hieß es. Bislang richte sich der Blick allerdings mehr auf das Erkennen von Amoklagen und niederschwelligere Mobbing-Situationen.
Udo Beckmann, NRW-Chef des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung, bemerkte, es handele sich nicht um ein grundsätzlich neues Phänomen von Kriminalität. Gewalttaten mit dem Ziel, sich Geld oder Wertgegenstände zu beschaffen, seien leider nicht neu. Dieses gebe es auch in Form von Überfällen auf Kioske oder Supermärkte, für die vorher »günstige« Zeiten ausgekundschaftet worden seien. Auch die sogenannte »Abzocke« auf dem Schulweg sei kein unbekanntes Phänomen. Beckmann: »Bielefeld ist auch nicht mit Emsdetten oder Erfurt vergleichbar.« Es gehe eben nicht um einen Racheakt gegen eine spezielle Schule. Die Täter hätten sich offensichtlich den Ort Schule ausgesucht, weil sie angesichts der Uhrzeit und dem vorher ausspionierten Wissen hier gute Chancen sahen, sich auf kriminellem Weg Geld zu beschaffen. Auffällig sei jedoch, dass die Qualität der Gewalt eine andere sei. Beckmann: »Die Hemmschwelle ist gesunken.« Die Jugendlichen hätten bewusst eine Raubüberfallsituation erzeugt und andere Jugendliche damit in den Glauben versetzt, mit scharfen Waffen bedroht zu werden.
Schulen könnten sich nicht grundsätzlich vor solchen Übergriffen schützen, zeigten sich Beckmann und andere Schulpraktiker überzeugt. Durch Videoüberwachung und ähnliches könnten Schulen eben nicht in »Hochsicherheitstrakte« umgewandelt werden. Sie seien genau wie Behörden, Universitäten, aber auch Kaufhäuser nie hundertprozentig sicher.
Auch Peter Silbernagel, der Chef des Philologenverbandes in NRW, zeigte sich entsetzt. »Fälle von Gewalt dürfen von den Schulen nicht runtergespielt und verschwiegen werden«, zollte er dem Bielefelder Helmholtz-Gymnasium Anerkennung dafür, dass mit absolut offenen Karten gespielt werde. Es sei wichtig, dass die Öffentlichkeit spüre, »dass es Transparenz gibt«.
Viele Schulen hätten immer noch Angst, gewalttätige Übergriffe nach außen zu dokumentieren, weil es erhebliche Konkurrenz unter den Lehranstalten aller Schulformen gäbe.
Derzeit laufen gerade die Anmeldungen zu den weiterführenden Schulen. In einer solchen Situation kann eine schlechte Presse schnell zu einer Klasse mehr oder weniger im kommenden Schuljahr beitragen.
Silbernagel fordert grundsätzlich: »Mehr Mut und deutlicher hinschauen, damit man auch im Vorfeld wirken kann.« Das Bielefelder Geschehen reiche allerdings ins kriminelle Fach hinein und sei nicht mehr allein schultypisch, sondern könne auch Sportvereine und deren Trainingsstunden treffen. Lehrer, die Ansätze von Mobbing erkennen, würden sich durchaus vor die Opfer stellen, wenngleich das in der Praxis ein schwieriges Unterfangen sein könne. Auch Pädagogen seien mitunter »Opfer von verschobenen Grenzen, ob im Internet, in Chatrooms oder im Unterricht«.
Wenn im Klassenraum etwa ein präparierter Lehrerstuhl zusammenkrache oder ähnlich Gefährliches geschähe, fühlten sich die Lehrer oft alleingelassen. Silbernagel: »Die Bezirksregierung stellen sich da fast taub. Diesen Lehrkräften Schutz zukommen zu lassen, ist viel zu wenig im Blick.«
Schulen in NRW bräuchten Notfallpläne, wie sie in Berlin bereits existieren, forderte VBE-Chef Beckmann erste Konsequenzen. Mit den Schülern müssten Verhaltensweisen trainiert werden, die in Notfällen wie dem aktuellen gezielt eingesetzt werden können. Allerdings dürfe das nicht so aussehen, dass Schülern vermittelt werde, dass nun für einen potenziellen Amoklauf trainiert werde. Es gehe immer darum, Panik zu vermeiden. »Darüber hinaus dürfen Schülerinnen und Schüler nicht ständig damit konfrontiert werden, dass sie gegebenenfalls in der Schule nicht sicher sind.«

Artikel vom 08.02.2007