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»Friedrich Merz ist kein Mann
für die Kompromisslinie«

Rückzugsankündigung löst erhebliche Unruhe aus -ÊRätselraten um Motive

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Erhebliche Unruhe, weitaus stärker als nach außen erkennbar, löste gestern die Rückzusgankündigung des Abgeordneten Friedrich Merz in Berliner Unionskreisen aus.

»Die Gedanken, die Friedrich Merz bewogen haben, habe ich auch«, hatte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach sekundiert und - nicht ohne Unterton - eingeschränkt: »Noch komme ich zu einer anderen Konsequenz.«
Rätselraten löste Teil zwei von Merz' Erklärung aus: Er hadere mit der Politik der großen Koalition in Berlin, was wenig überraschte, »und mit dem politischen Kurs der nordrhein-westfälischen Landespartei«.
Da schwang ganz offenbar Distanz zur als sozialliberal empfundenen Linie von Jürgen Rüttgers und Karl-Josef Laumann mit. Zuletzt war ausgerechnet eine außenpolitische Rede des NRW-Ministerpräsidenten vor der Gesellschaft für Auswärtige Politik bei Merz unangenehm aufgestoßen. Rüttgers übt laut Redetext unverblümte Kritik am US-Kurs gegenüber dem Islam und dem britischen Wirtschaftsliberalimus als Modell für Europa.
Losgelöst von solchem Rätselraten wollten sich gestern nur wenige CDU-Granden zum Fall Merz äußern. Ausnahme: Einige Wirtschaftspolitiker aus NRW, die mit dem Sauerländer seit langem für gemeinsame Ziele streiten.
Merz sei einer der herausragenden wirtschaftspolitischen Köpfe der Union, bedauerte Reinhard Göhner (Kirchlengern). »Wir brauchen mehr Abgeordnete, die zugleich in der Wirtschaft tätig sind und ihren Sachverstand in die Politik einbringen.«
Jeder Abgeordnete müsse stets neu die Grenze finden, in wieweit er sich der Koalitionsdisziplin unterwerfe, meint Göhner. Er selbst habe in 24 Jahren Bundestag zweimal - beim Antidiskriminierungsgesetz und der Gesundheitsreform - gegen die Mehrheitsmeinung seiner Fraktion gestimmt - und das vorher auch mitgeteilt. Andererseits sei eine erhebliche Fraktionsdisziplin zur Handlungsfähigkeit erforderlich. »Dass wir nicht die Politik der Union umsetzen und nicht verwirklichen können, was wir den Wählern versprochen haben, ist eine Folge des Bundestagswahlergebnisses«, bringt Göhner den Konflikt auf den Punkt und: »Es gab keine Alternative zur großen Koalition und das fordert einen hohen Preis.«
Nicht Verständnis, wohl aber Bedauern zeigte auch Hartmut Schauerte als Wirtschafts- und Mittelstandspolitiker: »Ich halte die Entscheidung für konsequent.« Merz habe zu entscheiden gehabt, ob er die gegenwärtige Politik noch mitmache, »mit all den Kröten, die auch zu schlucken sind«, oder ob er den beruflichen Weg in der freien Wirtschaft vorziehe. »Merz ist kein Mann für eine Kompromisslinie.«
Den Zwang zur Einigkeit, um Ergebnisse zu erreichen, bestätigt auch Schauerte. Dass er als Staatssekretär zusätzlich der Kabinettsdisziplin unterliegt, verhehlt der Jurist aus Olpe nicht. »Ich glaube, dass ich noch mehr schlucken muss«, sagt er, will aber nicht aufstecken »solange es in der Summe der Entscheidungen für unser Land besser ist.« Es sei eben besser in Berlin die Kanzlerin zu stellen und bestimmte Inhalte durchzusetzen, »als sich zu verweigern«.
Laurenz Meyer bedauert den angekündigten Rückzug des langjährigen Weggefährten Merz gleichfalls. »Seine politische Linie gehört zur CDU dazu, wie jede andere auch.« Dessen Positionen dürften künftig auf keinen Fall zu kurz kommen. Meyer: »Wer aber vertritt die noch?«
Der frühere Generalsekretär der Bundespartei bezweifelt, dass derzeit die Nerven besonders blank liegen. Im Gegenteil sei etwa bei der Gesundheitsreform »relativ lange Leine gelassen worden«.
Merz hatte im Vorfeld der Bundestagsabstimmung deutlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit einzelner Regelungen geäußert. Der Abstimmung im Bundestag blieb Merz unterdessen fern.
Dagegen war es in der SPD-Bundestagsfraktion dem Vernehmen nach zuvor zu erheblichen Streitereien gekommen. Teilnehmer berichteten von extrem hohem Druck auf Abweichler.
Meyer setzt unterdessen auf ergebnisorientierte Politik, die um so effektiver sei, je weniger sie von öffentlichem Streit begleitet werde. »Wenn ich höre, wie oft es Ärger gegeben hat in der Zeit mit der FDP«, sagt Meyer, sei die Zusammenarbeit mit der SPD an bestimmten Stellen durchaus konstruktiv. Das zeigten die Unternehmenssteuerreform, die Regelungen zur Erbschaftsteuer und der Arbeitsmarktbereich.

Artikel vom 07.02.2007