07.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Der größte Gegner des Friedens in der Region ist derzeit das nach Atomwaffen strebende Mullah-Regime in Teheran.«

Leitartikel
Merkels Reise


Neue
Achsen in Nahost


Von Jürgen Liminski
Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen - diese nüchterne Diagnose von einem Vorgänger der heutigen Bundeskanzlerin, Helmut Schmidt, trifft nirgendwo sonst so genau zu wie auf den Nahen Osten.
Visionen im Nahen Osten erfüllen meist nur die Funktion einer Fata Morgana. Sie spiegeln Verhältnisse vor, die es nicht gibt. Von einzelnen Aussagen in der eigentlich überflüssigen Grundsatzrede von Abu Dhabi abgesehen, sollte man der Bundeskanzlerin aber keine allzu großen Vorwürfe machen. Alle ihre Vorgänger, auch Helmut Schmidt, mussten in Nahost Lehrgeld zahlen. Auch die Nahostpendler - Genscher und Fischer - hatten manche Visionen im Gepäck, sie platzten wie Seifenblasen in der Wüstensonne. Der Gewinn dieser Reisen und auch der Merkel-Tour war immer nur die Erkenntnis, dieser geheimnisvolle Raum hat seine eigenen Gesetze, er passt nicht in die europäische Retorte.
Zu diesen Gesetzen gehört zum Beispiel die Konstante, dass Bündnisse sich an religiösen Magneten ausrichten. So rücken die Sunniten derzeit wieder enger zusammen, um sich gegen das schiitisch-iranische Streben nach Vorherrschaft in der gesamten Region zu wehren. Der Irak, der Libanon und auch Palästina sind in diesem Sinn nicht nur Schlacht-, sondern auch Experimentierfelder des Fanatismus. Hier entwickeln sich Religionskriege wie vor 500 Jahren in Europa.
Wenn die Saudis nun zur Kanzlerin sagen, sie seien Freunde der Iraner, dann ist das so zu verstehen, wie wenn in Europa ein potentieller Rivale die Parteifreundschaft beschwört. Das ist höchst gefährlich und müsste Frau Merkel eigentlich auch verstehen.
Das zweite Feld hat eine globale Dimension, es ist die Öl-Wirtschaft. Hier ließe sich mitreden. Iran hat keine eigenen Raffinerien und deshalb ein schweres Investitionsprogramm in Gang gesetzt, um den Autopark von Benzin auf Naturgas umzurüsten. Auch die iranische Nuklearindustrie verschlingt Unsummen. Das setzt einen hohen Ölpreis voraus. Riad aber hat mit Kuweit den Markt überschwemmt und so den Preis mittlerweile von 75 auf 50 Dollar pro Barrel gesenkt - übrigens ohne, dass man es hierzulande an den Zapfsäulen bemerkt. Das ist die Schmerzgrenze für Teheran.
Kuweit aber hat in seinem Budget 2007 einen Preis von 26 Dollar pro Fass vorgesehen, das wirtschaftliche Würgen geht weiter. Eine kalkulierbare Alternative zu einem Militärschlag mit unabsehbaren Folgen.
Auch Washington denkt in diese Richtung. Hier könnte Europa ansetzen, zum Beispiel indem man verhindert, dass Teheran günstige oder überhaupt Kredite bekommt. Davon war bei den märchenhaften Szenen in Riad oder Abu Dhabi allerdings keine Rede.
Muss auch nicht, es reicht, wenn man die Realpolitik der sunnitischen Achse konkret unterstützt (schon wegen des fallenden Ölpreises). Denn der größte Gegner des Friedens in der Region ist derzeit das nach Atomwaffen strebende Mullah-Regime in Teheran.

Artikel vom 07.02.2007