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Bei Brahms Verzicht
auf großes Pathos

Bielefelder Philharmoniker musizierten Details sensibel aus


Von Armin Kansteiner
Bielefeld (WB). Wenn unter dem Motto des Abends »per aspera ad astra« die 1. Sinfonie von Johannes Brahms auf dem Programm steht, leuchtet diese Zuordnung sofort ein. Wie aber fügt sich Othmar Schoecks Liederzyklus »Lebendig begraben« diesem Thema? Brahms' Sinfonie endet mit einem überwältigenden und lebensbejahenden Jubel, Othmar Schoecks Komposition auf Gedichte von Gottfried Keller schließt mit den Versen: »Fahr hin, o Selbst! Vergängliches Idol, wer du auch bist, leb wohl du, fahre wohl!«
Kellers früher Gedichtzyklus »Lebendig begraben« gibt uns Rätsel auf. Ein lyrisches Ich reflektiert im Sarg über sein Schicksal, lebendig unter der Erde zu liegen und schildert realistisch seine Empfindungen und Wahrnehmungen. Diese wirken manchmal durchaus humorvoll wie zum Beispiel die Schilderung des betrunkenen Küsters, manchmal auch grotesk: Vor Hunger isst der Tote die ihm mit ins Grab gegebene Rose auf.
Gedeutet werden kann diese Thematik nur allegorisch: Der Dichter ohne Resonanz beim Publikum fühlt sich »lebendig begraben«. Möglicherweise hat eine ähnliche Empfindung Schoeck zur Wahl dieses Gedichtzyklus' für seine Komposition bewogen. In ihr finden wir zwei Ebenen wieder. Wir hören ganz lautmalerisch zum Beispiel das Poltern, wenn der Sarg in die Grube gelassen wird oder das Knallen, wenn der Küster die Tür zuschlägt. Diese enge Bindung an den Text behindert aber die Vermittlung des Atmosphärischen, sowohl die der Verzweiflung zu Beginn wie auch die der visionären Glückseligkeit am Schluss.
Die Aufführenden standen also vor einer scheren Aufgabe. Die Philharmoniker unter der souveränen Leitung von GMD Peter Kuhn wirkten absolut überzeugend in der differenzierten Wiedergabe der komplexen Partitur. Der Bariton Espen Fegran bestach mit seiner markanten und leuchtenden Stimme und gestaltete seine Rolle beeindruckend, soweit sein Part es ihm gestattet. Dabei war das Bemühen um eine durchgehende Textverständlichkeit auffallend.
Allerdings wurde diese mal durch die volle Kraft des Orchesters, mal durch das enorme Tempo bei einem beibehaltenden Rezitationston, das den heutigen Rap-Gesang erahnen ließ, und mal durch eine ungünstige Tonlage erschwert. Angesichts der Ungewöhnlichkeit des Textes entstand hier ein Problem für das Publikum.
Dieses spendete dennoch anerkennenden Beifall, der wohl die Leistung des Künstlers würdigte.
Nach der Pause entfaltet das Orchester die 1. Sinfonie von Brahms prachtvoll bis zum furiosen Höhepunkt des Schlusssatzes. Erstaunlicherweise verzichtete Peter Kuhn im einleitenden »Un poco sostenuto» auf großes Pathos. Er dirigierte meist halbe Takte und verlieh dadurch dem thematischen Material einen leicht schwingenden Charakter. Zugleich nahm er auch das Forte etwas zurück. Statt dessen lenkte er die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die Details, die er mit dem ihm hervorragend folgenden Orchester sensibel ausmusizierte. In dem »Andante sostenuto«, das auf das recht zügig gespielte »Allegro« folgte, legte Kuhn wieder mehr Wert auf das »Andante« als auf das »Sostenuto« und lieferte so eine fast unromantische Interpretation.
Mit dem vor Spielfreude sprühenden 3. Satz und dem grandios aufgebauten Finale beeindruckten Dirigent und Orchester, aus dem Peter Kuhn zurecht die Solisten hervorhob.
Das Publikum dankte mit Ovationen.

Artikel vom 05.02.2007