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Heiner und die 21 Bärte

Weltmeisterliche Feier in Köln: die Gewinner kamen mit goldenen Pappkronen zur Ehrung

Von Hans Peter Tipp, Johnny Dähne und Arndt Wienböker
Köln (WB). Nur für einen kurzen Moment zogen sich die deutschen WM-Helden vor der Siegerehrung noch einmal in die Katakomben zurück. Als der 21-köpfige Kader wieder im Tollhaus Kölnarena auftauchte, da waren die Spieler nicht mehr die Gleichen: Sie waren Weltmeister, trugen goldene Kronen aus Pappe, Deutschland-Fahnen um die Hüften und Girlanden um den Hals. Zudem hatten sie sich das Markenzeichen ihres Trainers angeklebt - einen buschigen Schnauzbart.

Die besten Handballer dieses Turniers wussten genau, wem sie ihre Leistungsexplosion bei dieser Endrunde zu verdanken hatten. Heiner Brand, dem Mann, dem wie Franz Beckenbauer das Kunststück gelang, sowohl als Spieler als auch als Trainer den Weltmeistertitel zu gewinnen.
Nur für einen klitzekleinen Moment, da wusste selbst der Gummersbacher nicht, wie er sich verhalten sollte. Als bei der etwas langatmigen Zeremonie die Spieler bereits auf das Podium gebeten worden waren und die ersten Hände Richtung Trophäe zuckten, da stand der Trainer unschlüssig am Rande. Nach oben gebeten worden war er noch nicht.
Waren etwa schon zu viele Schnauzbärte auf dem Podium? Da beeilte sich der Hallensprecher, endlich auch den weltmeisterlichen Bundestrainer zur Krönung zu bestellen. Wenig später ging alles im Freudentaumel und schwarz-rot-goldenen Konfetti- und Lichterregen unter.
Als Kapitän Markus Baur dann den Weltpokal in den Himmel reckte, gab es kein Halten mehr. Jetzt durfte jeder den stilisierten Handballer, den die Trophäe zeigt, hoch halten, und selbst der verletzte Torwart Henning Fritz ließ die Krücken fallen. Für diesen einen, unbeschreiblichen Augenblick, auf den die Fußballer vergeblich gewartet hatten und den die Handballer jetzt dem deutschen Sport und allen Sportbegeisterten in diesem Land schenkten.
Nationalspieler und Fans schmetterten gemeinsam den WM-Song der »Höhner«: »Wenn nicht wir, wer sonst.« Der Traum ist wirklich wahr geworden.
»Die ganze WM war eine einzige Freude. Ich bin einfach nur überglücklich«, strahlte Baur, während seine Tochter glücklich auf Papas Schultern in die große Halle blickte. Weiter dachte er an diesem Jubeltag nicht: »Über meine Zukunft in der Nationalmannschaft mache ich mir jetzt keinen Kopf. Mal schauen, was die nächsten Tage bringen.«
Kreisläufer Andrej Klimowets war zu diesem Zeitpunkt bereits in Feierlaune: »Ein unbeschreiblicher Tag. Wir feiern bis zum Umfallen. So was passiert nur ein Mal im Leben.« Der Kieler Dominik Klein: »Ich weiß gar nicht, was hier heute passiert ist.« Das war einige Augenblicke zuvor noch anders. Zusammen mit »Pommes« Pascal Hens betätigte er sich am Hallen-Mikro als Einpeitscher: »Deutschland hat die geilsten Fans der Welt«, sangen die beiden Weltmeister und alle stimmten ein.
Schließlich nahmen die Spieler »ihren Heiner« auf die Schultern und trugen ihn auf die Ehrenrunde. Als der 54-Jährige auch diese breit lächelnd absolviert hatte, landete er endlich in den Armen seiner Ehefrau Christel und holte sich den mehr als verdienten Weltmeisterkuss ab.
Der Lemgoer Florian Kehrmann, der immer an den Titel geglaubt hatte, sagte mit der kristallenen Goldmedaille um den Hals: »Das ist einfach nur der Hammer.« Und lächelte: »Jetzt können wir uns ab sofort auf Olympia 2008 in Peking vorbereiten.« Denn dafür sowie für die WM 2009 in Kroatien sind die Deutschen als neuer Weltmeister bereits direkt qualifiziert.
Dann hatten es die Spieler nach den Jubelarien an der Stätte des Triumphes allerdings auch sehr eilig, um zum Kölner Rathausplatz zu kommen, wo Zehntausende ihnen einen begeisternden Empfang bereiteten. Dominik Klein hatte natürlich zu diesem Zeitpunkt seinen Brand-Schnauzer schon wieder abgenommen: »Das ist schon ein komisches Gefühl - ziemlich kitzlig. Aber wenn der Heiner seinen nicht hergibt, müssen wir Spieler uns eben etwas einfallen lassen.«
Der Heiner ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass sich an seinem äußerlichen Erscheinungsbild dieses Mal nichts ändern werde: »Ich glaube, dass ich auch Montag noch so aussehen werde wie jetzt.« Auf jeden Fall wird er der Alte bleiben - möglicherweise mit einem dicken Kopf.
So spielten sie
Deutschland - Polen 29:24 (17:13)
Deutschland: Fritz (THW Kiel), Bitter (SC Magdeburg) - Hens (HSV Hamburg) 6, Roggisch (SC Magdeburg), Klein (THW Kiel), Glandorf (HSG Nordhorn) 2, Baur (TBV Lemgo), Zeitz (THW Kiel) 3, Jansen (HSV Hamburg) 8/1, Klimowets (SG Kronau/Östringen) 1, Kraus (FA Göppingen) 4, Kehrmann (TBV Lemgo) 4, Kaufmann (HSG D/M Wetzlar), Schwarzer (TBV Lemgo) 1

Polen: Szmal, Weiner - Lijewski 1, Jachlewski 1, Tkaczyk 5, Bielecki 3, Siodmiak 1, Wleklak 1, Bartosz Jurecki 2, Jurasik 5, Michal Jurecki 1, Kuptel 1, Tluczynski 2/2, Lijewski 1

Zuschauer: 19 000 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Bord/Buy (Frankreich)
Strafminuten: 2 / 6

Artikel vom 05.02.2007