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Pop-Wettstreit: besser als bei Bohlen

»Jugend musiziert« öffnete sich erstmals für Pop-Sänger, E-Bass-Spieler und Schlagzeuger

Von Christian Althoff
Bad Salzuflen (WB). Es war die Premiere in Nordrhein-Westfalen: Zum ersten Mal ist am Wochenende der Wettbewerb »Jugend musiziert« im Fach Popmusik ausgerichtet worden. 50 Teilnehmer aus Ostwestfalen-Lippe zwischen acht und 23 Jahren traten in Bad Salzuflen in den Kategorien Gesang, E-Bass und Schlagzeug an.
Die Jury: Musicalredakteur Peter Stolle aus Hamburg, Musikschulinhaber Joachim Fitzon aus Bielefeld und Ulrike Wahren, Musicaldarstellerin und Dozentin an der Musikhochschule Detmold.
Lena Senge ist an diesem Samstagmorgen die erste, die die dreiköpfige Jury überzeugen will. Die Zuschauerreihen im Jugendzentrum Schötmar sind nur spärlich gefüllt, als die 13-Jährige zu dieser frühen Stunde die Bühne entert und mit dem Jazz-Standard »Angel Eyes« loslegt - a capella und ohne Mikrofon, der schwierigste Part ihres Auftritts. Keine Spur von Nervosität, kein Zittern in der Stimme - Lena singt seit fünf Jahren im Jugendchor »New Voices« und nimmt seit einem Jahr Gesangsstunden. Sie steht heute nicht zum ersten Mal auf der Bühne und hat sich seit Monaten auf den Wettbewerb vorbereitet.
»Alle Teilnehmer müssen mindestens drei selbstgewählte Stücke unterschiedlicher Pop-Stile präsentieren«, sagt Organisator Stephan Otters, Leiter der Städtischen Musikschule Bad Salzuflen, die etwa 350 Schüler in Popmusik unterrichtet. Neben einem a-capella-Song muss auch ein selbstgeschriebener Titel dabei sein. Bis zu 20 Minuten dauert der Auftritt jedes Teilnehmers - Zeit genug, um Punkte gutzumachen, wenn man sich vielleicht mit einem Titel Christina Aguileras' oder eines anderen Stars übernommen hat.
Lena ist inzwischen mit viel Beifall und einem Lob der Jury-Vorsitzenden entlassen worden, die Bühne gehört jetzt Deborah Seidel (13). Bei Amanda Marshalls »Let It Rain« stockt sie einmal ganz kurz, sucht den Blick ihrer Eltern in der ersten Reihe, lächelt und ist wieder voll konzentriert. »Nicht schlimm«, erklärt ihre Gesangslehrerin Adriana Riemann später und schmunzelt: »Wenn das Herz bis zum Hals klopft und das Adrenalin durch den Körper schießt, passiert sowas eben. Der Wettbewerb soll Spaß machen, das ist die Hauptsache!«
In der Küche des Jugendzentrums heizt Christoph Jacobi unterdessen die beiden Pizza-Öfen an. Der Student hilft hier regelmäßig aus und ist heute mit zwei Kolleginnen verantwortlich, dass die Verpflegung von Juroren und Teilnehmern klappt. »Die sollen sich hier wohlfühlen!« Die voluminöse Soul-Stimme, die bis hier in die Küche dringt, kommt überraschend nicht aus dem Vortragssaal, sondern aus dem ersten Stock. Dort steht Larissa Rieke (15) im Vorbereitungsraum I vor einem Spiegel und singt »What's up« von »4 non Blondes« zum Playback vom CD-Spieler. »Ich hatte die letzten Tage ein Kratzen im Hals. Gestern Abend bin ich früh ins Bett, und heute Morgen habe ich viel Tee getrunken. Hoffentlich hilft's!«, lacht die Gymnasiastin. Sie konzentriere sich vor dem Spiegel auf ihre Mundbewegungen, erklärt sie: »Wenn ich ihn zu schnell öffne, kann sich die Stimme nicht richtig aufbauen.«
Larissas Auftritt wird später einer der Höhepunkte des Tages sein. Als sie bei Alannah Myles' »Black Velvet« trotz des Kratzens im Hals auf Risiko geht und ihre Stimme zielsicher bis zum zweigestrichenen F in die Höhe treibt, strahlt ihre Gesangslehrerin mit emporgestreckem Daumen, und manchem Zuhörer läuft eine Gänsehaut über den Rücken. Ein Gefühl, das Teilnehmerin Fatma Arzu Fakiroglu (15) später im inzwischen übervollen und überhitzten Vortragssaal noch zu steigern versteht, als sie bei Diane Warrens »How Do I Live« mit ihrer Kopfstimme bis zum dreigestrichenen E vordringt. »Eine geniale Stimme!«, lobt Adriana Riemann, und auch die Jury ist begeistert - nicht nur von der Türkin.
»Wir haben hier heute ganz tolle Stimmen gehört«, sagt Ulrike Wahren, nachdem sie sich mit ihren beiden Kollegen bei Pizza und Apfelschorle beraten hat. »Hier singen Talente, wie sie sich Dieter Bohlen nur wünschen kann«, ergänzt Juror Peter Stolle, Musicalredakteur und Pianist aus Hamburg.
Ohnehin wäre keiner der Teilnehmer auf die Idee gekommen, sich bei »Deutschland sucht den Superstar« zu bewerben: »Das ist doch bescheuert, wie die da fertiggemacht werden!«, meint Larissa Rieke.
Und Lenas Mutter Ellen Skrodzki-Senge sagt: »Hier wird der Nachwuchs viel mehr motiviert, hier ist die Atmosphäre viel freundlicher. Und: Hier fließen keine Tränen.«

Artikel vom 06.02.2007