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Am liebsten barfuß
Joan Baez erhebt ihre glasklare Stimme für den Frieden - am 20. März in Bielefeld
Bielefeld. Es gibt Künstler, die sich selbst treu bleiben und dennoch weiterentwickeln. Zu diesen Ausnahmeerscheinungen zählt die Ikone der politischen Folksongs, Joan Baez, deren Repertoire von Bob-Dylan-Songs aus den Sechzigern bis hin zu Kompositionen der neuen Singer- und Songwriter-Generation wie Ryan Adams reicht. Am Dienstag, 20. März, 20 Uhr, gastiert die 66-jährige Wahl-Kalifornierin in der Stadthalle Bielefeld. Im Vorfeld sprach Klaus Gosmann mit der Künstlerin, die gerade mit dem Ehren-Grammy für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde.
Sie haben viele Berührungspunkte mit der Rock-Kultur gehabt. Worin bestehen die Unterschiede zwischen Folk- und Rock-Musikern in Bezug auf Musik und Lebensstil? Die einen bewegen sich im Mainstream und die anderen nicht.
Letzteres gilt also für die Folkmusiker, oder? Ja. Die Leute sagen: »Warum schreibt heute keiner mehr Protestsongs?« In den 60er Jahren war es geradezu in Mode, Protestlieder zu schreiben. Man fragte sich: Was für ein Protestlied kann ich schreiben, so dass es im Radio gespielt und populär gemacht wird? Die Zeiten sind heute anders. Ich denke, es werden - erstens -Ê zwar Protestsongs geschrieben, aber sie können nicht ins Radio, weil sie dort gebannt werden. Zweitens darf man nicht zuviel von den Leuten erwarten nach 20 Jahren zweifelhafter Politik, die verwirrend und nebulös waren. Man weiß nicht genau, was vor einem liegt und welche Schlacht man wählen soll. Deswegen haben viele Leute aufgegeben und Anderes gemacht.

Wer war im Rückblick die einflussreichste Persönlichkeit der Gegenkultur: der Psychologe Timothy Leary, Songwriter-Ikone Bob Dylan, Poet Allen Ginsberg oder Sie? Der Erste, der einem einfällt, ist Dylan. Zum Teil, weil ich mich in den Musikzirkeln und weniger in den New Yorker Dichter-Kreisen bewegt habe. Dann gibt's noch andere. Ich weiß, dass ich eine davon bin.

Sie sollen als Jugendliche mit dem Gitarrespielen angefangen haben, weil Sie Rock'n'Roll liebten. Wer waren Ihre Lieblingsmusiker? Es war eher Rhythm'n'Blues, der mich so fesselte: all die schwarze Musik. Es waren fast alles Gruppen: die »Penguins«, die »MoonglowsÜ. Es gab einen, der herausragte: Johnny Ace.

Warum sind Sie dann Folk- und nicht Rhythm'n'Blues-Musikerin oder Rock'n'Rollerin geworden? Meine Tante hat mich zu einem Pete Seeger-Konzert mitgenommen, als ich 15 war. Ich war in diesem Alter bereits politisiert. Das war für mich der Beginn, in Richtung Folksongs zu gehen. Als ich mehr Einblick bekam, passierten zwei Dinge. Zum einen passte es gut zu meinen politischen Gefühlen, zum anderen zu meiner Entwicklung -Êvon der Adoleszenz hin zu einer etwas älteren Person. Ich mochte Rhythm'n'Blues, und ich höre mir das immer noch über Satelliten-Radio an, weil es Spaß macht und mich in diese Zeit zurückversetzt. Aber als ich mich weiter entwickelte, stand Folk für mich im Mittelpunkt: Er war pur und anfangs für mich nicht politisch. Zu Beginn waren das für mich Balladen, die jedes Teenagergefühl ausdrücken konnten.

War es für Sie bereits mit 15 klar, dass Sie Sängerin werden wollten? Wahrscheinlich habe ich erst mit über 50 Jahren gemerkt, dass ich mir diesen Beruf wirklich ausgesucht habe. Ich habe darüber niemals eine bewusste Entscheidung gefällt.

Was wären die Alternativen gewesen? In meinem Schul-Jahrbuch wurde vorausgesagt, dass ich Künstler werde, weil ich gezeichnet habe -Êmit Kohle und Bleistift. Ich konnte in einer für Kinder geradezu unheimlichen Art Portraits zeichnen.

Ihre Karriere begann Ende der 50er Jahre in der Cambridge Folk-Szene rund um Boston. Was herrschte dort für eine Stimmung: Fühlten Sie sich als rebellische Wegbereiterin der Gegenkultur? Wenn man wie ich mit 18 dazu übergeht, von einer Jugendlichen mit einem nicht allzu guten Selbstbild zu einer Person zu werden, die auf einmal viel Aufmerksamkeit von den Leuten bekommt, dann ist das nicht einfach. Es war eine Situation beherrscht von der akademischen Welt und Intellektualismus. Ich gehörte zu keiner dieser Welten, bewegte mich aber in diesen Kreisen. Ich wurde akzeptiert und gemocht, wahrscheinlich weil ich anders war. Die Leute strömten in die Folkclubs, legten ihre Bücher weg, hörten zu. Es war der perfekte Sturm, wenn alles an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zusammenkommt. Es war mein Talent, die Musik und der Beginn einer sozial bewussten Bewegung.

Waren Sie sich darüber im klaren, dass Woodstock so große Spuren in der Geschichte hinterlassen würde? Als ich bei meiner Ankunft über das Gelände flog, hatte ich das Gefühl, dass wir einen historischen Moment erleben würden. Und ich fand's aufregend, ein Teil davon zu sein.

Wie werden Ihre Konzerte in Deutschland aussehen? Ich habe zwei Musiker bei mir: Graham Maby am Bass und Erik della Penna. Er spielt fünf Saiteninstrumente: Gitarre, Banjo, Mandoline, Dobro und Lap Steel.

Entscheiden Sie wie Bob Dylan immer erst am Abend der Show, was Sie spielen werden? Das würde ich gern. Das habe ich gemacht, als ich allein gespielt habe, aber nun habe ich ein Grundgerüst, dem wir folgen. Ich spiele Klassiker und aktuelles Material.

Wann haben Sie das letzte Mal barfuß auf einer Bühne gestanden? Wahrscheinlich bei der letzten Tournee.

Es heißt, Sie hätten als junge Frau Ihr gutes Aussehen nicht akzeptiert. Lediglich Ihre Hände und Füße sollen Sie als hübsch angesehen haben. Stimmt es, dass Sie aus diesem Grund so oft barfuß aufgetreten sind?(lacht) Der Grund, warum ich gern barfuß auf der Bühne stand, war ganz einfach, dass es sich am bequemsten anfühlte.
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Artikel vom 09.03.2007