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Der Werkzeugmacher für die Chemiker

Prof. Norbert Sewald ist den Proteinen auf der Spur


Von Sabine Schulze
Bielefeld (sas). Prof. Dr. Norbert Sewald ist ein »Werkzeugmacher«. Nur hat er mit drehen oder fräsen nichts zu tun: Der Chemiker stellt vielmehr molekulare Werkzeuge her. Sie helfen den Lebenswissenschaftlern, die Proteine in den Zellen genauer zu analysieren. Dahinter steht der Wunsch, ihre Funktion zu verstehen.
Der Körper ist eine fein abgestimmte chemische Fabrik. Viele Prozesse, die ablaufen, kennen die Wissenschaftler bereits. Noch mehr aber ist nach wie vor Neuland. Warum, zum Beispiel, haben die Raupe und der Schmetterling, der sich aus ihr entwickelt, identische Gene und sehen doch so unterschiedlich aus? Schuld daran sind die Proteine.
Sie sind der Grundstoff des Lebens. Zehntausende verschiedener Proteine, allesamt gebildet aus nur 20 Aminosäuren, haben ganz unterschiedliche Aufgaben: Sie geben den Zellen Struktur, sie wirken als »Reaktor«, der biochemische Prozesse beschleunigt, sie sind Immunstoff oder Hormon und sie transportieren Signale oder zum Beispiel Phosphatreste.
Diese Aufgabe hat in den Zellen die »Kinase«. Das Enzymprotein dient als Packesel für Phosphatreste, die es von einem Protein zum nächsten bringt. »Dort wirkt das Phosphat als An- und Ausschalter bestimmter Funktionen«, erklärt Sewald. Letztlich hat die Kinase also wichtige Steuerungsfunktion. Nur: Wie kann man sie aus den vielen, vielen Proteinen, die in einer Zelle vorhanden sind, herausfischen, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen? Hier kommt Sewald ins Spiel: Er liefert Kollegen wie dem Biologen Dr. Olaf Kruse, der genau an der Kinase interessiert ist, das Werkzeug.
»Man kann Proteine nach Molekülmasse und Größe sortieren. Dann weiß man aber noch nichts über ihre Funktion.« Die Moleküle, die Sewald herstellt und die am Zielprotein quasi »andocken«, behindern es in seiner Funktion oder sind unabdingbar dafür notwendig. Sie erlauben dadurch zu beobachten, was geschieht.
»Das Ziel ist letztlich, das Proteom, also die Gesamtheit der Proteine, kennenzulernen - wie man auch das Genom, also das gesamte Erbgut entschlüsseln will.« In den Genen ist das Muster des Proteoms kodiert. Warum aber ein und dasselbe Genom nun Raupe und Schmetterling hervorbringt, welcher Schalter hier quasi umgelegt wurde, damit ein anderes Proteommuster entsteht, ist noch unklar. Genauso, wie oft unklar ist, warum chemische Vorgänge aus dem Gleichgewicht geraten und Regelkreise nicht mehr greifen.
Zukunftsmusik ist, so Sewald, dass eines Tages am Proteommuster die kranke von der gesunden Zelle unterschieden wird. »Wir werden in der medizinischen Diagnostik vorankommen, Biomarker entdecken, die Krankheiten früh entlarven.« In der Hoffnung, eingreifen zu können. »Noch sind wir aber in der Phase des Jägers und Sammlers, auf der Suche nach den Informationen, die wir mit unseren Werkzeugen gewinnen.«

Artikel vom 02.02.2007