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Blick auf literarischen Antisemitismus schärfen

Tagung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung - Walser als »Fußnote« stets präsent

Bielefeld (sas). Es war die Rede, die Martin Walser 1998 in der Paulskirche hielt, die das Augenmerk von Matthias N. Lorenz auf den Autor lenkten. Er las sich durch das gesamte Werk und kam in seiner Dissertation zu dem Befund: Antisemitische Ressentiments ziehen sich durch das Werk des Literaten.

Wohl selten hat eine Doktorarbeit in der Öffentlichkeit solchen Widerhall gefunden, sie löste in den Feuilletons heftige Diskussionen aus. Seinem Thema ist Lorenz, seit einem Jahr an der Universität Bielefeld tätig, treu geblieben: Er leitet derzeit gemeinsam mit dem Germanisten Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Uni eine Tagung, die die Frage stellt: »Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz?«
Walser ist zwar kein Thema der Tagung: Es geht um Schuldabwehr, um Muster des Antisemitismus, um Max Frisch, Bernhard Schlink, Rainer-Werner Fassbinder oder amerikanische Romane. »Walser erscheint aber dennoch in jedem Vortrag - zumindest als Fußnote«, sagt Lorenz. Der Literaturwissenschaftler sah sich nach seiner Dissertation nicht nur mit Zustimmung, sondern auch mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Sie reichten vom Anti-Antisemitismus über Pranger-Philologie bis hin zur inquisitorischen Akribie. Lorenz kennt sie alle. Er wehrt sich gegen die »Marginalisierung seiner Befunde« und den Vorwurf der Zensur. »Mein Urteil steht auf einer breiten Basis und ist nicht politisch begründet«, betont er. Ihm (und den Tagungsteilnehmern) gehe es aber darum, festzuhalten, dass es eben auch nach 1945 noch in der Literatur Antisemitismus gebe (für die Zeit zuvor ist er unwidersprochen) und dass sich daraus Diskussionsbedarf herleite.
»Stereotypen und Vorurteile sind in vielen Köpfen vorhanden, wir haben sie quasi aufgesogen. Nach 1945 sind sie aber nicht mehr so unschuldig wie zuvor.« Für Lorenz stellt sich die Frage, wie ein Autor damit umgeht, welches Fremd- und Selbstbild er entwirft - und dass ein Literaturwissenschaftler auch dies als Kriterium für seine Analyse und Beurteilung von Texten einbezieht. »Literatur lebt auch vom Spiel mit Bildern, mit festgelegten Typen und Klischees«, gesteht er zu. Ein Blick auf das Gesamtwerk könne aber verräterisch sein. Und Schwarz-Weiß-Malerei und mangelnde Differenzierung sind für den 33-Jährigen kein verantwortungsbewusster Umgang mit Literatur.
»Es geht nicht um Zensur, darum, nicht auch einen Juden negativ darstellen zu können, und es geht nicht um Quoten, die ausrechnen, wie oft die Täter- und wie oft die Opferseite Thema ist.« Aber es geht ihm darum, Bewusstsein zu wecken
Eine Podiumsdiskussion schließt die Tagung heute ab. Moderiert wird sie von Bogdal, es diskutieren der österreichische Autor Robert Schindel und Wolfgang Benz vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung.

Artikel vom 02.02.2007