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Zupackend, schmutzig und würdevoll

Kunsthalle Bielefeld: »Arbeitswelten« von Peter August Böckstiegel und Conrad Felixmüller

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Themenausstellungen zum Expressionismus genießen in Bielefeld eine lange Tradition. Mit »Arbeitswelten« von Conrad Felixmüller und Peter August Böckstiegel setzt die Kunsthalle ihre Beschäftigung mit dem Expressionismus ebenso fort wie sie das ĂŽuvre zweier befreundeter Künstler in einen spannenden Dialog setzt.

Der eine, ein Bauernsohn, kommt 1889 in Arrode/Werther bei Bielefeld zur Welt. Der andere, ein Arbeiterkind, erblickt 1897 in Dresden das Licht der Welt. Beide lernen sich 1913 an der Kunstakademie Dresden kennen und schätzen. 1919 wird das Band der Freundschaft um verwandtschaftliche Beziehungen ergänzt: Peter August Böckstiegel heiratet Felixmüllers Schwester Hanna. Das Ehepaar führt im Winter in Dresden ein städtisches Leben und wechselt in den Sommermonaten nach Arrode, wo Peter August Böckstiegel damit beginnt, die Landschaften und Menschen seiner Heimat zu malen.
Im vertrauten Umgang mit der Natur und dem bäuerlichen Lebensrhythmus entstehen Bilder von Ackerbau und Ernte, Viehzucht und vor allem den ihn vertrauten Menschen, die er bei der Arbeit auf dem Felde oder nach vollendetem Tagewerk porträtiert.
Die harte bäuerliche Arbeit lässt dabei keinen Raum für Idylle aufkommen. Böckstiegels Porträtierte sind gezeichnet von Wind und Wetter und lebenslangen Anstrengungen, doch sie sind aufrechte, stolze Menschen.
»Böckstiegel sah sie im Sinne seiner expressionistischen Position als Sinnbild einer freien, schöpferischen Existenz, die im Einklang mit der Natur lebt«, sagt Dr. Jutta Hülsewig Johnen, Kuratorin der Ausstellung. Böckstiegel selbst bezeichnete seine Eltern, die er immer wieder porträtierte, gar als »Sinnbilder des Menschentums«.
So wie der westfälische Maler in seiner künstlerischen Ausdrucksweise auf seine Wurzeln zurückgreift, gestaltet Conrad Felixmüller in seinen Werken von den Arbeitern im Kohlerevier einen ganz ähnlich gearteten Gegenentwurf. Selbst einer Arbeiterfamilie entstammend, wird seine Solidarität mit dem Proletariat und seine Mitgliedschaft in der KPD zur Antriebsfeder einer Kunst, die den Bergmann in seinem alltäglichen Arbeitsumfeld dokumentiert - zupackend, schmutzig und doch würdevoll.
»Felixmüller kommt seiner gesellschaftlichen Verantwortung als Künstler nach, indem er den Blick lenkt auf die, die im wirtschaftlichen Zusammenbruch und im Nachkriegschaos um eine neue Gesellschaft und ihre Rechte kämpfen und doch unterzugehen drohen. Der Künstler zeigt die Menschen vor der Kulisse der Industrie im Ruhrrevier; es ist das fast ehrfürchtige Hinschauen und Konstatieren des Gesehenen, das der Industriewelt im Bild eine beinahe erhabene, aber auch drohende Monumentalität verleiht«, schreibt Hülsewig-Johnen im Ausstellungskatalog.
Monumentalität begegnet uns auch im Werk Böckstiegels, der auf diese Weise die von ihm porträtierten Menschen überhöhte.
Böckstiegels Bauern und Felixmüllers Arbeiter sind Abbilder der zweiten Expressionistengeneration. Sie bilden eine der letzten künstlerischen Bestandsaufnahmen des Menschen in seiner alltäglichen Lebenswelt, bevor eine freie Kunst im totalitären Hitler-Deutschland unmöglich wurde.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Städtischen Galerie Dresden und wird vom Böckstiegel-Freundeskreis sowie von der Kulturstiftung Pro Bielefeld unterstützt. Sie zeigt menschliches Dasein in den 20er Jahren innerhalb der spannungsvollen Pole von Natur und Technik, Stadt und Land sowie Einklang und Entfremdung. Eröffnung: Sonntag, 11.30 Uhr.

Artikel vom 02.02.2007