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Robin Hood steht Pate beim Code für Anti-G8-Aktivisten

Extremisten und Gewaltbereite aller Schattierungen rüsten zum Gipfel

Von Reinhard Brockmann
Rostock (WB). Der Gipfel der acht mächtigsten Industriestaaten (Gruppe der Acht, G8) vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm gilt schon jetzt als die größte Herausforderung der Sicherheitsbehörden in Deutschland. BKA-Präsident Jörg Ziercke: »Wir beobachten die Mobilisierung gegen den Gipfel intensiv.«
Ein massiver Schutzzaun markiert den äußeren Sicherheitsring.

Anders als beim Massenereignis Fußballweltmeisterschaft, gilt es, einen Kongress zu schützen, der 100 000 Gegendemonstranten aus aller Welt möglichst nah an den Tagungsort drängen lässt. Geschützt durch einen Zaun, zwei Sicherheitsringe und ebenso viel Polizisten wie Protestler werden Gastgeberin Angela Merkel, US-Präsident George W. Bush sowie die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada, Japan und Russland Strategiegespräche führen.
Die Globalisierungskritiker vom Netzwerk attac trommeln bereits im Internet Protestgruppen zusammen. »Wir haben genug von Krieg und Menschenrechtsverletzungen, von Umweltzerstörung, Sozialabbau, Steuergeschenken und Konzernhörigkeit!« Die Welt, in der attac und Anhänger leben wollten, sehe anders aus, heißt es. »Darum fahren wir nach Heiligendamm! Wir machen Globalisierung, aber fair.« Wegen des mahnenden Fingers, auf Gewalt zu verzichten, gilt attac in der Szene fast als zu brav. Kirchliche Gruppen und Gewerkschaften gelten diesen Kreisen als Bremser.
In der Tat wird bei attac der Protest noch argumentativ untermauert. Heute agierten die Nationalstaaten in einem globalen Netz aus Konzernen, Finanzmärkten und Institutionen wie der Europäischen Union und der Welthandelsorganisation (WTO). Darin nähme die G8 eine zentrale Position ein. attac schreibt in seinen Grundsätzen: »Die G8 ist eine Institution, die die Weltpolitik mitbestimmt. Sie benimmt sich in gewisser Weise wie eine Weltregierung.« Dazu seien die acht Staaten demokratisch nicht legitimiert.
Grundsätzlich sei es kein großes Problem, wenn mächtige Staaten miteinander sprächen, heißt es weiter. Wirklich problematisch sei, dass es nicht bei Gesprächen bleibe, sondern jenseits der symbolischen Gesten konkrete Entscheidungen gefällt würden. Bei aller berechtigten Kritik an den Vereinten Nationen habe die UN zumindest einige formale Richtlinien dafür, wie Entscheidungen zustande kämen und wie einzelne Staaten mitbestimmen könnten.
Wesentlich militanter geht der deutsche Ableger britischer Militanter namens »Dissent! Network for Resistance« zur Sache: »Nachdem Zeit genug war sich vom G8 in Schottland zu erholen und zu erörtern was damals funktionierte und was nicht, fand ein erstes landesweites Treffen in Nottingham/Sherwood statt, um zu diskutieren wie wir uns sinnvoll in die Mobilisierung gegen den G8 in Deutschland einklinken können,« heißt es im Internet. »Im Geiste Robin Hoods« sei entschieden worden, den Reichen alles zu rauben und den Armen zu geben, formulieren die Aktivisten auffällig unauffällig, was ihnen wirklich vorschwebt.
Der Verabredung zu Straftaten kommt dann die folgende Formulierung erst recht nah: Blockaden seien diskutiert worden und ein »Booklet« erstellt worden, das den »Aktivist-Code« erkläre. »Lock-Ons« erläuterten darin wiederum den Informationsaustausch, »um Aktionen zu verbessern«... Fotos und Karten der Gegend ergänzen die Ausrüstung für das offenbar ersehnte Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei. Weder revolutions-verklärend, noch Robin-Hood-gemäß dürften die mitlesenden Sicherheitsorgane das Schlusszitat aus dem Dissent!-Aufruf empfinden: »Tod König John! Tod dem Sherriff von Nottingham!«
Auch eine Reihe unterschiedlichster, schwer einzuschätzender Gruppierungen will sich in die erwarteten Massenproteste der Globalisierungsgegner einreihen. Die am wenigsten zu beurteilende Bedrohung der Sicherheitslage im Ostseebad kommt von militanten Islamisten. Als größte Unbekannte für die Behörden stellen sich nach einer internen Analyse solche Kräfte dar, die den Dschihad nach Europa tragen wollen.
Neben den religiösen Fanatikern richten Rechtsextremisten ihr Augenmerk auf Heiligendamm. Deren »freie Kameradschaften« diskutieren derzeit noch im Internet, wie sie gegen das Treffen der Staats- und Regierungschefs agieren könnten. Es gibt Hinweise, dass die Neonazis auf Springerstiefel und Bomberjacken verzichten und sich in die linken Massenproteste einreihen. »Wir haben doch das gemeinsame Ziel, den G8-Gipfel zu zerschlagen oder wenigstens zu behindern«, schreibt ein Chat-Teilnehmer im rechtsextremen Forum »Freier Widerstand«. Und ein anderer: »Bald gibt es kein links und rechts mehr, dann gibt es nur noch das System und seine Feinde«

Artikel vom 30.01.2007