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Brücke zwischen den Stilen und Kulturen

Deutsch-brasilianisches Konzert in der Marienkirche

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wenn sich ein Mittel zur Völkerverständigung bewährt hat, dann ist es die Musik. Schönstes Zeugnis davon legt aktuell ein Kammerorchester aus dem brasilianischen Jaraguá do Sul ab, das auf seiner Tournee durch Holland, Österreich und Deutschland auch zwei Konzerte in Bielefeld gab und damit den kalten Winter mit südamerikanischem Esprit und Lebensfreude erwärmte.

Die »Grupo de Camara da Scar« ist ein 25-köpfiges Streichorchester, das 1987 von Ricardo Feldens gegründet wurde. Es besteht aus ambitionierten Laienmusikern, die es im Umgang mit dem Instrument zu großer Reife gebracht haben.
Ein Blick auf die Namensliste der Musiker und Musikerinnen lässt indes bass erstaunen: Schäfer, Schmidt, Eggert, Heinemann, Lehmann, Stein, Klein und Wolf geigen da unter brasilianischer Flagge. Sie sind Sprösslinge deutscher Auswanderer, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Städtchen »Jarguá do Sul« unweit der berühmten Atlantik-Strände Santa Catarinas gründeten.
Servierte das 25-köpfige Ensemble gestern Abend seinen bunten Strauß brasilianischer Kompositionen in der Jakobuskirche ohne deutsche Mitwirkung, so kam es am Sonntagabend in der Jöllenbecker Marienkirche zu einem gemeinsamen musizieren in fast schon familiärer Atmosphäre, die dank der sympathischen Ansprache von Orchesterchef Ricardo Feldens auch ins Publikum überschwappte.
Das Programm freilich hätte kontrastvoller nicht sein können: Teile aus Mozarts Krönungsmesse umrahmten den Reigen lateinamerikanischer Charakterstücke. Dazu bot man in Jöllenbeck die vereinte Kraft des Bielefelder Kammerchores (Leitung: Gottfried Braun) und der Marienkantorei auf, die sich zu einem stimmstarken Klangkörper vereinten. Die Gäste aus Brasilien sorgten für ein gefühlvolles Streicherfundament. Da die obligatorischen Oboen, Fagotte, Hörner, Trompeten und Posaunen nicht vollzählig ergänzt werden konnten, bot das Klavier einen passablen Lückenbüßer.
In Anbetracht der ungewöhnlichen Fassung und der nationenübergreifenden Ausführenden genießt die Aufführung unter der Gesamtleitung von Hauke Ehlers den Status von Einzigartigkeit. Durchweg hörenswert auch, wie sich die einzelnen Gruppen und Musiker zu einem homogenen Klangbild zusammenfügten, wie Kyrie und Gloria, später auch das Sanctus und Agnus Dei in angemessen feierlichem Duktus, mit dezent pointiertem Schwung und in klanglicher Frische zu Gehör gebracht wurden.
Dass die Partien der Gesangssolisten von Chormitgliedern übernommen wurden, spricht nicht nur für einen gewissen Wagemut, den Hauke Ehlers immer mal wieder an den Tag legt, sondern auch für aussagekräftige Stimmen im Chor.
In der Mitte präsentierten die Gäste einen vielfältigen musikalischen Streifzug durch das fünftgrößte Land der Erde, dessen Musik geprägt wurde von portugiesischen, afrikanischen und indigenen Stilen.
Mit einem »Prelúdio« von Heitor Villa-Lobos erklang das Werk eines Komponisten, der die Vermischung der Stile prägte. Folklore und barocke Stilistik findet sich auch in Alberto Nepomucenos »Suite Antiga« in einer interessanten Synthese wieder, was vom Orchester mit nicht nachlassender Spannung und Stilbewusstsein vorgeführt wurde.
Als Mitbegründer des für Brasilien typischen Bossa Nova gilt Antonio Carlos Jobin, dessen Streichquartett »Garota de Ipanema« artifizielle Kompositionskunst mit mitreißenden Rhythmen vereint. Aus der Fülle der Darbietungen sei noch Rafael Petry hervorgehoben, der auf dem Akkordeon zwei Tanzstücke darbot: virtuos und mit ansteckendem Bewegungsdrive.
Nach dem herzlichen Dank des Publikums erfolgte gestern noch ein offizieller Empfang im Rathaus, bei dem das Engagement des Orchesters um Freundschaft unter den Völkern seine Würdigung fand.

Artikel vom 30.01.2007