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Abstrampeln ohne Vorwärtskommen

Gregor Zölligs Tanzabend »Stadt.Stolper.Steine« beeindruckte das Premierenpublikum

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Es gibt kein Fortkommen. Statt dessen ein Auf-der-Stelle-Stehen und Sich-im-Kreise-Drehen. Das Bild der Fahrradfahrerin, die über die Dauer der gesamten Inszenierung vor sich hinstrampelt, ohne einen Millimeter von der Stelle zu kommen, ist bezeichnend für den Tanzabend von Gregor Zöllig am Theater Bielefeld.

»Stadt.Stolper.Steine« wurde unter Mitwirkung der Tänzer und Tänzerinnen bereits 2000 für das Theater Osnabrück erarbeitet und findet jetzt in einer aktualisierten Fassung den Weg auf die Bühne des Theaterlabors. Erzählt wird, so die Kernaussage des Inszenierungsteams, »vom Leben und Wirken in modernen Stadträumen und vom Stolpern des Menschen in seinem Bestreben, allzu perfekt sein zu wollen. (...) Gregor Zöllig untersucht mit seinen Tänzern Bewegungsformen und Verhaltensweisen, die die moderne Großstadt vorgibt. Daraus sind Szenen entstanden, die von der Überforderung des modernen Großstadtmenschen erzählen.«
Mehr noch: kaleidoskopartig präsentieren Zöllig und sein ausgezeichnet vitales Tanzteam typische Zustände der modernen westlichen Zivilisation. Es ehrt sie, dass sie dafür ebenso klare wie humorvolle Bilder kreieren. Nicht der erhobene Zeigefinger, sondern die Kunst des Hofnarren, dem König frank und frei den Spiegel vorzuhalten, zeichnet die Inszenierung aus.
Dabei gibt es eigentlich nichts zu lachen. Hektik, so erzählen die wild über die Bühne wuselnden Tänzer, bestimmt den Alltag. Er ist bestimmt von Konsum, Freizeitstress und Schönheitswahn. Erfrischung (Wasser) kommt tröpfchenweise aus der Retorte und Regenerationsphasen geraten zu kurz. Die arrivierte Gesellschaft lächelt (herrlich verkrampft), doch hinter den Kulissen tobt in den Chefetagen ein erbitterter Machtkampf. Wer verliert, wird entsorgt: Ab in die Bauschutt-Mulde, die exemplarisch für etwas Unfertiges steht, während ein Konzertflügel die Gegenwart von Kultur repräsentiert. Er kommt zum Einsatz, wenn ein Seniorenpaar gemütlich das Tanzbein schwingt, was inmitten der an Tempo und Dynamik zunehmenden Bilder und Aggressionen geradezu grotesk wirkt.
Der Stress, den das Mithalten-Müssen und In-Sein-Wollen verursachen, kumuliert. Zöllig findet dafür eindringliche Bilder von Beladenen, die alles auf einmal stemmen wollen. Überfordert vom eigenen Anspruch, kommt es zu Neurosen und schließlich zum finalen Kollaps.
In einer ausdrucksvollen und spannungsreichen Körpersprache gelang es dem zehnköpfigen Tanzensemble, bildlich zu vermitteln, woran die moderne Gesellschaft krankt. Werke von Giora Feidmann bis hin zu den Einstürzenden Neubauten boten allzeit ein passendes und verstärkendes Klangfundament. Kostüme und Ausstattung (Hank Erwin Kittel) ermöglichen ein reiches Identifikationspotenzial mit dem modernen Großstadtmenschen.
Das Premierenpublikum zeigte sich rundum begeistert und spendete langanhaltenden Beifall.
Weitere Vorstellungen finden statt am 27., 28. und 30. Januar. Weitere Termine im Februar und März. Eintrittskarten und weitere Infos gibt es unter Telefon 05 21/51 54 54.

Artikel vom 27.01.2007