26.01.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Bielefelder schlägt demente Ehefrau

Prozess wegen Misshandlung eingestellt - 76-Jähriger mit Pflege überfordert

Bielefeld (uko). Einen vorläufigen Schlusspunkt unter eine tragischen Familiengeschichte hat das Amtsgericht Bielefeld gesetzt: Ein 76-jähriger Bielefelder hat im Prozess gegen sich zugegeben, seine demenzkranke Ehefrau regelmäßig geschlagen zu haben. Sein Motiv war Überforderung.

Fast 50 Jahre sind die beiden Ehepartner miteinander verheiratet. Vor fünf Jahren, so resümierte der Senior am Donnerstag vor Gericht, seien erste Anzeichen von Vergesslichkeit bei Hildegard V. (alle Namen geändert) deutlich geworden. Bald darauf sei Demenz als die ursächliche Krankheit festgestellt worden. Eduard V. hatte die 73-Jährige zunächst fast allein gepflegt, weil er sich auch gegen die von seinen Töchtern favorisierte Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung gesträubt hatte: Er fürchtete die Einsamkeit, wollte nicht allein sein. Indes waren die Anforderungen immer höher geworden, so dass zumindest morgens eine Tagespflegerin zur Hilfe kam. Tagsüber wurde Hildegard V. dann von einem Pflegedienst abgeholt. Zum Abendbrot versorgte der Ehemann seine Frau dann wieder selbst.
»Sie ist wie Kind«, gab Eduard V. gestern unter Tränen zu. Seine Frau könne sich allein nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung orientieren, müsse auch nachts mehrfach versorgt werden. Amtsrichterin Kirsten Reichmann pflichtete ihm bei: »Sie sind an einem Punkt angelangt, wo ein Angehöriger die Pflege nicht mehr leisten kann.«
Nachbarn hatten schließlich auf die Missstände aufmerksam gemacht, weil oft Schreie der Frau zu hören waren. Insgesamt 65 Mal, so listete es die Anklage der Staatsanwaltschaft auf, habe Eduard V. demnach seine widerstandsunfähige Ehefrau misshandelt.
Eine der Töchter des Mannes berichtete dem Gericht gestern von den jüngsten Versuchen, die Mutter nun dauerhaft in einer Pflegeeinrichtung unterzubringen. Vor wenigen Tagen sei auch ein Vertrag mit einem hiesigen Heim abgeschlossen worden. Die Mutter stehe derzeit auf Platz drei der Warteliste. Allerdings sei nicht abzusehen, ob die Frau schon in den kommenden Monaten in die Einrichtung übersiedeln könne.
Amtsrichterin und Staatsanwältin machten im Prozess unmissverständlich deutlich, dass die Frau so schnell wie möglich der alleinigen Verantwortung des Ehemannes entzogen werden müsse. Die Tochter gab danach zu verstehen, sich zwischenzeitlich um ein Platz in der Kurzzeitpflege kümmern zu wollen.
Zusätzlich gab der Senior die angeklagten Taten zu. Kirsten Reichmann stellte danach das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ein.

Artikel vom 26.01.2007