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Das Gericht hält Wort:
Hartz entgeht Vorstrafe

Richterin weist Kritik an Strafabsprache zurück

Von Eva Tasche
und Anita Pöhlig
Braunschweig (dpa). Mit unbewegter Miene verfolgt Peter Hartz die Urteilsbegründung. 20 Minuten lang bleibt sein Blick auf Richterin Gerstin Dreyer gerichtet - konzentriert, angestrengt. Ins Publikum schaut er nicht.

Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Untreue, urteilt das Gericht. Und eine hohe Geldstrafe - 576000 Euro. »Wir sind uns sicher, dass keine weiteren Straftaten zu erwarten sind«, begründet die Richterin unter anderem die Entscheidung. Sie folgte den Forderungen von Anklage und Verteidigung, die das Urteil zuvor abgesprochen hatten.
Weder Zeugen noch Sachverständige wurden geladen und das Gericht hatte Hartz eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt, wenn er ein glaubhaftes Geständnis ablege. Kritik daran wiesen beide Seiten zurück.
Die Kleinen sperrt man ein, die »hohen Tiere« lässt man laufen, stand sinngemäß auf einem der Spruchbänder, die Demonstranten dem Angeklagten vor Beginn des zweiten Verhandlungstages entgegenhalten. »Hartz hinter Gitter«, fordern sie. Doch sie meinen nicht den 44fachen Sündenfall von Untreue und dem »Kauf« des Ex- Betriebsratschef Klaus Volkert, der im Gericht in allen Einzelheiten vorgetragen wird. Es sind Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, die den Namensgeber der Arbeitsrechtsreform dafür verantwortlich machen, dass die Arbeitslosigkeit sie in die Armut stürzte.
Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff rückt ihnen den Kopf zurecht: Es sei niemand zu bestrafen, weil er prominent und vermögend sei, weil er an Arbeitsmarktreformen mitgewirkt oder Prostituierte besucht habe, sagt sie eindringlich. Sie verteidigt zugleich die Urteilsabsprache. Die Justiz habe sogar die Verpflichtung, in großen Verfahren zu prüfen, ob eine Absprache einen langwierigen Prozess nicht abkürzen könne. Und auch, dass der »Komplex Prostituiertenbesuche« aus dem Hartz-Verfahren ausgeklammert worden sei, sei im Interesse der »Prozessökonomie« gerechtfertigt.
Sein Anwalt, der bekannte Strafverteidiger Egon Müller, wies ebenfalls Kritik an der Absprache zurück. Sie sei »keine Missgeburt, sondern das Ergebnis rationaler Überlegungen«.
Hartz erspart er eine lange Prozessdauer. Und der Staatsanwaltschaft bringt er neue Erkenntnisse. »Wer hätte geglaubt, dass es uns gelingt, in die VW-Vorstandsetage vorzudringen«, sagt die Anklägerin. Sie hätten Dinge gefunden, die nicht einmal die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gefunden habe. Das Material wird noch gebraucht. Denn der Hartz-Prozess ist erst der Beginn der juristischen Aufarbeitung des Schmiergeldskandals bei VW.
Das Geständnis von Hartz liefert der Justiz auch Munition für die kommenden Verfahren in der Affäre um Korruption, Vergnügungsreisen und Sexpartys auf Firmenkosten. Volkert dürfte einer der Nächsten auf der Anklagebank sein. Bei ihm und manchen anderen Beschuldigten ist die Neigung zu detaillierten Aussagen bisher nur wenig ausgeprägt. Und jenseits der Schmuddelgeschichten aus dem Rotlichtmilieu geht es dabei auch um einen weltumspannenden Wirtschaftskrimi. Dem 65-jährigen Hartz bleibt die Schmach einer Vorstrafe.

Artikel vom 26.01.2007