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Auch im tiefsten Elend optimistisch sein

Für den »Grammy« nominiert: Der »Soweto Gospel Chor« strahlt Begeisterung und Zuversicht aus

Von Ralf E. Krüger
Soweto (WB). Draußen tobt das Chaos, drinnen die Lebensfreude: Im Gemeindesaal von Yeoville ist Chorprobe angesagt. Mitten in Johannesburgs Problemviertel übt der »Soweto Gospel Chor«. »Wir sind der beste Beweis dafür, dass man auch im tiefsten Elend den Optimismus nicht verlieren muss«, sagt Dirigent Lucas Bok.

Seit fünf Jahren existiert der 25-köpfige Chor, der schon viele Preise eingeheimst hat. Jetzt wurde der Chor für die höchste Auszeichnung des US-Musikgeschäfts, den Grammy Award, nominiert - Preisverleihung ist am 11. Februar in Los Angeles.
Der Chor begibt sich mit der Nominierung in die Fußstapfen der erfolgreichen A-cappella-Gruppe »Ladysmith Black Mambazo«, die 1987 Südafrikas ersten »Grammy« gewonnen hatte. Der »Soweto Gospel Chor« hatte vom Zeitpunkt seiner Gründung an Erfolg. Die Besten der Besten aus den Kirchenchören des Landes hatte Gründer David Mulovhedzi dafür zusammengesucht.
Benannt wurde die Formation nach einem der symbolträchtigsten Orte der Welt: Soweto, Südafrikas bekannteste schwarze Millionenstadt vor den Toren von Johannesburg. 29 Stadtteile, 120 Quadratkilometer Fläche, zwei bis fünf Millionen Einwohner - so genau weiß das niemand. Zu Zeiten der Apartheid wurde die trostlose Vorstadt weltweit zum Inbegriff von Unterdrückung, Auflehnung, Gewalt und Protest. Heute dagegen ist der Albtraum von einst längst zum Symbol für das Lebensgefühl einer neuen Generation geworden. Die einstige Schlafstadt hat sich zum Spiegelbild des modernen Südafrika gewandelt. Dritte und Erste Welt wohnen hier Tür an Tür.
Kirche und Musik sind Hoffnungsträger, verheißungsvoll mit ihren Versprechen auf ein besseres Leben. Der Gospel verbindet beides. Viele Jugendliche versuchen daher, über die Musik einen Ausweg aus der allgegenwärtigen Misere zu finden.
Lucas Bok hat lange als Bankangestellter gearbeitet. Für ihn ist klar: »Musik ist Berufung, Musik ist Schicksal: Sie ruft Dich!« Im Gemeindezentrum von Yeoville lässt die Musik in der Tat das Meer aus Armut und Elend vor der Tür vergessen. Weit weg sind hier der allgegenwärtige Verfall, die Drogenmafia, die chaotischen Lebensverhältnisse. Vor einer knallbunten Wasserfall-Tapete als Kulisse modellieren die Stimmbänder der jugendlichen Chor-Mitglieder Klangteppiche und sanfte Melodien. Sie strahlen Begeisterung und Zuversicht aus. Die Sprache ist Englisch, Xhosa oder Zulu, die Botschaft positiv. Von Stolz und Optimismus, von Triumph, von Gott und »den alten Tagen« ist in ihrer Musik die Rede - von der Apartheid, deren Spätfolgen der Gesellschaft auch mehr als ein Jahrzehnt nach der demokratischen Wende am Kap weiter ihren Stempel aufdrücken. Tänzelnde Akrobatik paart sich mit Eleganz und Selbstbewusstsein.
Als fröhliches Antlitz eines problembeladenen Kontinents versteht sich der »Soweto Gospel Chor«. Weit weg ist das Image eines Afrikas der Kriege, Krisen und Konflikte. Mit Schmelz in der Stimme begrüßt die füllige Sipokazi Luzipo (21) ebenso eloquent wie selbstbewusst mit einstudierter Grandezza ein imaginäres Publikum.
Helle, klare Stimmen, tiefe Bässe - der Chor kommt mit nur spärlicher Musikbegleitung aus. Die Stimmen aus zwei Dutzend Kehlen erfüllen den Raum und tragen die Melodie hinaus in einen Stadtteil, der mit seiner hohen Kriminalität als einer der gefährlichsten in ganz Johannesburg gilt. »Nkosi's Haven« liegt nicht weit entfernt - ein Asyl für Aids-infizierte Kinder, das die engagierte Aktivistin Gail Johnson mit viel Mühe aus dem Boden gestampft hat. Hier ist das Elend zu Hause - und die Hoffnung in einem Meer der Verzweiflung. Im renovierungsbedürftigen Wohnhaus von »Nkosi's Haven« wohnen zur Zeit 27 Kinder und zwölf Mütter - die meisten tragen den Aids-Virus in sich, viele sind Waisen. Der Bedarf für Hilfe ist enorm.
Am Kap wütet die Immunschwäche-Krankheit weitgehend ungebremst - mehr als 5,5 Millionen Südafrikaner gelten als infiziert. Gail Johnson nimmt HIV-positive Kinder mit ihren Müttern in ihrer Stiftung auf, gibt ihnen ein Dach überm Kopf, lebensverlängernde Medikamente, leichte Handarbeiten. Sie sorgt für die Schule - und notfalls auch die Beerdigung.
Gail Johnsons Lebenswerks kostet Geld - viel Geld. Und ohne Sponsoren läuft nichts. Der »Soweto Gospel Chor« hat daher einen Unterstützungsfonds ins Leben gerufen, der sechsstellige Euro-Beträge aufbrachte. »Wir haben Glück gehabt in unserem Leben und wollen dafür etwas zurückgeben«, sagt Chor-Gründer David Mulovhedzi, der bereits seit 1986 Gospel-Chöre leitet. Er kommt aus einem christlichen Umfeld, aus einer der am Kap in Blüte stehenden Pfingstkirchen mit protestantischer Wurzel.
Die Zoe-Kirche in Soweto ist eine davon. Ein buntes Zirkuszelt auf gepflastertem Untergrund dient ihr im Ortsteil Pimville als Kultstätte - zu mehr reichte die Finanzkraft der 1005 Mitglieder bisher nicht. Im stickigen Zelt feiert die viel-stimmige Gemeinde den Gottesdienst. Jubel brandet auf, als der »Soweto Gospel Chor« sein musikalisches Feuerwerk auf der Bühne abbrennt. Bislang hat er sich vor allem im Ausland einen Namen gemacht; nun holt er auch zu Hause nach, was ihm in Europa oder den USA bereits gelang: mit Musik, christlicher Botschaft und »göttlichen Stimmen« - so der Titel eines ihrer Alben - die Menschen zu verzücken.

Artikel vom 27.01.2007