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Kirchturmpolitik bremst
kindlichen Lerneifer aus

Bentfelder Schüler darf in Paderborn kein Fagott blasen

Von Manfred Stienecke
(Text und Foto)
Kreis Paderborn (WV). Frederic Nessel aus Bentfeld ist ein musikalisch aufgeschlossener Grundschüler. Weil er aber nur wenige Kilometer außerhalb der Paderborner Stadtgrenzen wohnt, kann er sein Lieblingsinstrument nicht erlernen.

Mutter Eva Nessel (39) versteht die Welt nicht mehr. »Unser Sohn möchte gerne Fagott-Unterricht nehmen. Doch an der Städtischen Musikschule in Paderborn nimmt man ihn nicht auf, weil wir in einem Delbrücker Ortsteil wohnen.« Die Mutter des Neunjährigen wurde an die Kreismusikschule nach Büren verwiesen. Dort aber kann man Frederics Lerneifer auch nicht befriedigen - das seltene Instrument wird dort gar nicht angeboten. Auch im Bekanntenkreis habe sie schon von ähnlichen Erfahrungen gehört.
Der aufgeweckte Viertklässler aus Bentfeld ist im Unterricht an der Grundschule in Boke auf das anspruchsvolle Orchesterinstrument aufmerksam geworden. Dort haben die Schüler Prokowjews Kinder-Opus »Peter und der Wolf« angehört - und Frederic verliebte sich sofort in das Fagott. »Das würde ich bestimmt auch im Orchester heraushören«, ist er sicher.
»Frederic will jetzt unbedingt Fagott lernen«, weiß sich Mutter Eva Nessel keinen Rat mehr. Sie selbst möchte ihm den ungewöhnlichen Wunsch gern erfüllen. Doch vor dem Kauf dieses größten Holzblasinstruments - Anschaffunskosten ab 2500 Euro - schreckt sie doch zurück. »Ein Fagott müssten wir uns ausleihen.«
An der Städtischen Musikschule in Paderborn wäre Frederic mit seinem Wunsch goldrichtig. Dort ist nicht nur ein Leih-Instrument, sondern auch ein ausgebildeter Fachlehrer vorhanden. Doch dem Musikschulleiter Jürgen Boelsen sind die Hände gebunden. Er darf keine Kinder von außerhalb des Stadtgebiets aufnehmen. »Vor zehn Jahren hat der Stadtrat die Schulordnung entsprechend geändert«, verweist Boelsen auf die herrschende Rechtslage. »Früher hatten wir Schüler auch aus den Nachbargemeinden, heute ist das nicht mehr möglich.«
Grund der städtischen Kirchturmpolitik sind die Kosten. Da die Stadt über die Kreisumlage auch die Kreismusikschule mitfinanziert, fordert sie im Umkehrschluss eine Gebührenbeteiligung der Umlandgemeinden, wenn deren Schüler in Paderborn Musikunterricht erhalten. Die Unterrichtsgebühren decken nämlich nur ein Drittel der anfallenden Kosten. »Wenn die Nachbarstädte die fehlenden zwei Drittel übernehmen würden, könnten wir deren Schüler aufnehmen«, so Boelsen.
Die Stadtmauer-Regelung bietet allerdings auch jetzt noch jede Menge Schlupflöcher. So können beispielsweise in den verschiedenen Orchestern der Städtischen Musikschule Jugendliche aus anderen Gemeinden mitwirken. Begründet wird dies damit, dass die begabten Instrumentalschüler sonst kaum Möglichkeiten zum Ensemblespiel hätten.
In den Bläserklassen, die an den beiden Paderborner Gymnasien Reismann und Goerdeler bestehen und die von Lehrern der Städtischen Musikschule unterrichtet werden, sitzen natürlich auch Schüler, die in Nachbarstädten wohnen. Ähnlich sieht es aus bei Musikschülern, die mit ihren Eltern umgezogen sind. »Wenn sie ihren Unterricht bei uns begonnen haben, dürfen sie ihn auch fortsetzen. Die können wir doch nicht einfach rausschmeißen!«, weiß Boelsen um die Problematik.
Um den kleinen Frederic in Bentfeld tut es dem Schulleiter leid. Er habe eigentlich genau das richtige Alter, um auch ein so schwieriges Instrument wie das Fagott zu erlernen. Die Städtische Musikschule verfüge über ein Leih-Instrument mit kindgerechter Griffmechanik. Weil Paderborn ihn nicht aufnehmen dürfe und die Kreismusikschule das Fach Fagott nicht anbiete, bleibe für die Familie Nessel nur die Suche nach einem Privatlehrer. »Aber den wird sie im Kreisgebiet nicht finden«, ist Boelsen sicher.

Artikel vom 26.01.2007