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Noch im Schlaf lernt das Gehirn Vokabeln

In der Nacht werden Informationen weiter verarbeitet

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Es genügt nicht, das Heft mit den Latein-Vokabeln unter das Kopfkissen zu legen: Sie werden nicht über Nacht den Weg ins Gehirn finden. Sich die Übersetzung von »clementia« oder »dignitas« vor dem Einschlafen noch einmal anzuschauen, das kann allerdings nützlich sein: Das Gehirn wird sie dann über Nacht leichter abspeichern.

Mit Schlafstörungen und kognitiven Fähigkeiten hat sich Diplom-Psychologin Nadine Reinhold, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bielefeld, befasst. Unterstützung erfuhr sie durch Prof. Dr. Peter Clarenbach, Chefarzt der Neurologie am Evangelischen Krankenhaus und Leiter des Schlaflabors am Standort Schildesche.
»Im Schlaf erholen wir uns, wird unser Temperatur- und Hormonhaushalt ausgeglichen. Und im Schlaf verarbeiten wir Dinge, die wir tagsüber erlebt haben und die uns beschäftigen«, erklärt die Psychologin. Ein Kind, das nachmittags geübt habe, auf dem Rad zu fahren, könne am nächsten Morgen nicht selten besser fahren als zuvor. »Fast, als hätte es im Schlaf weitergeübt.« Und in gewisser Weise ist das richtig.
»Das Gehirn sortiert im Schlaf Informationen nach wichtig und unwichtig.« Letztere werden quasi weiter überdacht und abgespeichert. Um zu wissen, wann das geschieht, haben die Wissenschaftler sich genauer den Ablauf des Schlafes angeschaut und unterscheiden anhand der Hirnaktivität (die mittels Hirnschrift gemessen wird) fünf Stadien; zwei dieser Stadien sind Tiefschlafphasen, eines ist der REM-Schlaf, der durch heftige, kurze Augenbewegungen gekennzeichnet ist, während die restliche Muskulatur nahezu vollständig entspannt ist (das Kürzel REM steht für »rapid eye movement«).
»Alle Schlafstadien werden mehrmals in der Nacht stufenweise durchlaufen, ein Durchgang dauert zwischen 90 und 120 Minuten«, sagt Nadine Reinhold. Dabei ist der Anteil der Tiefschlafphasen ohne die Augenbewegungen in der ersten Nachthälfte größer als in der zweiten, in der die REM-Stadien mehr Raum einnehmen.
Inwiefern diese Phasen das Lernen beeinflussen, haben die Psychologen an gesunden Schläfern untersucht. Danach wird in den Nicht-REM-Phasen das Faktenwissen verarbeitet (also die Lateinvokabel abgespeichert), während in den REM-Phasen weiter geradelt wird. »Haben Versuchspersonen vor dem Schlafen beispielsweise Vokabeln gelernt, erhöhte sich der prozentuale Anteil an Tiefschlaf.« Zudem konnten sie das Erlernte besser behalten als diejenigen, die nicht direkt vor der Nachtruhe gebüffelt hatten, sie hatten also quasi im Schlaf weiter gelernt.
Dass vor allem ein ungestörter Schlaf wichtig für die Gedächtnisverarbeitung ist, verdeutlichten Untersuchungen im Schlaflabor an Patienten mit dem »Schlaf-Apnoe-Syndrom« (SAS). Sie leiden an einer Störung der Atmung, atmen für Sekunden oder Minuten nur ganz flach oder gar nicht. Das führt automatisch zu einer Weckreaktion. Und die wiederum verhindert, dass die Patienten in den Tiefschlaf fallen und normale Schlafzyklen durchlaufen. Die Forscher haben den Probanden nun vor dem Einschlafen Aufgaben gestellt (sie mussten zum Beispiel Wortlisten lernen) und anschließend Lernfähigkeit und Konzentration kontrolliert.
In einer zweiten Runde erhielten die Patienten Atemmasken, die die nächtlichen Aussetzer verhinderten und für ungestörten Schlaf sorgten. Und siehe da: Nach dreimonatiger Therapie war zwar die Merkleistung der Patienten zwar nicht wirklich größer, aber ihre kognitiven Fähigkeiten (Konzentration und Aufmerksamkeit) »bedeutsam verbessert«. Die Erkenntnis, dass Schlaf die Leistungsfähigkeit steigert, nutzen in den USA oder Japan bereits leitende Angestellte: für ein Mittagsschläfchen. »Power-Napping« nennt sich dieses Nickerchen am Schreibtisch dann.
Aus den Forschungsergebnissen lernen Eltern schulpflichtiger Kinder: Der Nachwuchs muss früh genug (wegen der Vokabeln!) und ausreichend ungestört schlafen, damit er sich vormittags im Unterricht konzentrieren kann.

Artikel vom 26.01.2007