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Ein »Vollidiot« im Halbfinale

Australian Open: Haas beschimpft sich selbst und stoppt noch Dawidenko

Melbourne (dpa). Erst erbitterte Selbstanklage, dann ein abgewehrter Matchball, schließlich der dritte Halbfinal-Einzug bei den Australian Open: Mit einem Sieg unter dramatischen Umständen hat sich Thomas Haas die Frage nach dem Sinn seines Tennis-Lebens eindrucksvoll beantwortet.Fernando Gonzalez ist in bester Form: Der Chilene wird ein harter Brocken für Haas.
Nach dem 6:3, 2:6, 1:6, 6:1, 7:5-Erfolg über Nikolai Dawidenko hat der Hamburger nach 1999 und 2002 erneut die Chance auf sein erstes Grand-Slam-Endspiel, muss morgen (9.45 Uhr/Eurosport) dafür aber den in Traumform befindlichen Fernando Gonzalez schlagen. Chiles Olympiasieger im Doppel entzauberte Spaniens zweimaligen French-Open-Sieger Rafael Nadal 6:2, 6:4, 6:3.
Den bisher einzigen Vergleich gegen den 26-Jährigen beim World Team Cup in Düsseldorf 2004 verlor Haas, doch gegen Dawidenko schaffte er nach zwei misslungenen Versuchen auch den ersten Erfolg. »Das ist einer der schönsten Momente meiner Karriere. Ich wollte unbedingt die Revanche. Diese Matches bedeuten mir mehr als vor acht oder neun Jahren«, sagte der 28-Jährige, der bei den vorigen US Open im Viertelfinale knapp an Dawidenko gescheitert war. Gonzalez meinte über Haas: »Er ist ein guter Spieler mit viel Erfahrung. Aber ich habe glatt gewonnen und er musste fünf Sätzen spielen. Das ist gut für mich.« Haas bescheinigte Gonzalez: »Er hat einen hässlichen Aufschlag und eine gute Vorhand.«
Im ersten Semifinale stehen sich heute (9.45/Eurosport) Andy Roddick (USA) und Titelverteidiger Roger Federer gegenüber. Im Damen-Halbfinale trafen in der Nacht Maria Scharapowa (7:6, 7:5 gegen Anna Tschakwetadse) und Kim Clijsters (3:6, 6:4, 6:3 gegen Martina Hingis) sowie Serena Williams und Nicole Vaidisova aufeinander.
Haas war weit weg von der Finalchance und machte sich auf seinem Stuhl Luft, nachdem er es im vierten Satz versäumte, seine Führung mit eigenem Aufschlag auf 3:0 auszubauen. »So geht es nicht, so kannst Du nicht gewinnen. Du bist zu schwach. Zu viele Fehler, du gehst nicht ans Netz. Ich hab' keinen Bock mehr. Für wen mache ich die ganze Sch... außer für mich? Ich bezahl die Leute für absolut nichts - damit ich mich aufrege«, schimpfte Haas und schloss seinen Monolog: »Du bist ein Vollidiot, aber Du gewinnst das Match. Fighte!«
Haas musste anschließend lächeln: »Ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt habe. Man sollte nicht darauf hören. Die sollten das Mikrofon ausschalten.« Der in Deutschland lebende Dawidenko bekam das eine oder andere mit. »Er ist ein bisschen durchgedreht. Das hat mich überrascht«, sagte der Weltranglisten-Dritte.
Erst im entscheidenden Satz boten Haas und Dawidenko hochklassiges und sehr spannendes Tennis. »Das ist ein zäher Hund. Der spielt unmenschlich«, sagte die deutsche Nummer eins anerkennend. Haas holte ein 1:3 auf und hatte beim Stand von 4:5 Glück: Dawidenko setzte bei seinem Matchball einen zweiten Aufschlag von Haas ins Netz. »Das war ein dummer Fehler«, sagte der 25-Jährige und lobte den Gegner: »Er hat gut gespielt, ich konnte keinen Druck auf ihn machen.«
Nach dem Break zum 6:5 jubelte Haas schon beim ersten Matchball, doch der Videobeweis zeigte, dass ein Ball von Dawidenko die Grundlinie berührt hatte. Die nächste Chance konnte Haas nach 3:19 Stunden nutzen und drehte das Match noch. »Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe«, sagte Haas, der im ersten Satz glänzte, danach aber über zwei komplette Durchgänge weg vom Fenster war.

Artikel vom 25.01.2007