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Die Anstaltskunst überwunden

Willi Kemper berichtet im Erzählcafé über seine Arbeit im Haus »Lydda«

Von Mike-Dennis Müller
(Text und Foto)
Brackwede (WB). Willi Kemper leitet seit 1992 das Künstlerhaus »Lydda« der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. Seine Tage dort sind allerdings gezählt: Im Juni verlässt er die Einrichtung, um sich selbst noch einmal ganz aktiv der Kunst zu widmen. Dies berichtete er den Besuchern im Erzählcafé des »Treffpunkt Alter« im voll besetzten Bartholomäus-Gemeindehaus.

Kemper, 1944 in Niederense im Kreis Soest geboren, wächst im Haus seiner Großeltern auf: »Ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese Zeit.« Nach dem Krieg habe sein Vater Tabak angebaut. Der wurde dann mit der von seinem Großvater gebauten Tabak-Schneide-Maschine zerkleinert. »Auch andere Dorf-Bewohner nahmen die Maschine gerne in Anspruch«, erzählt Kemper. Als Lohn habe sein Großvater Teile des Tabaks bekommen, »denn der war damals wertvoller als Geld«.
1951 kommt Kemper in die Schule: »Mir fiel das Lernen sehr leicht, ich hatte fast ausschließlich gute und sehr gute Noten.« Nur in »Betragen« hätte er meist eine drei oder vier gehabt: »Ich war den Lehrern einfach zu frech.«
Im Alter von 18 Jahren wird Kemper zum Wehrdienst einberufen. Ein Versuch, den Kriegsdienst zu verweigern, schlägt fehl, so dass er bald im hessischen Knüll-Gebirge seinen Dienst leisten muss. »Ich habe diese Zeit aus meinem Gedächtnis gelöscht«, so Kemper. In seinem Elternhaus habe er stets viel Liebe und Anerkennung erfahren. Das militärische Leben sei ein starker Kontrast dazu gewesen.
In den 1960er Jahren studiert Kemper Malerei, Bildhauerei und Architektur. Anfang der 70er folgen einige Semester Kunstgeschichte und Publizistik. Danach ist er lange Jahre als freier Künstler tätig: »Ich musste die Angst, einmal ohne Geld dazustehen, immer wieder verdrängen.« An der Fachhochschule in Dortmund, Fachbereich Design, sammelt er in den 1980er Jahren erste Erfahrungen als Pädagoge.
1992 bewirbt sich Kemper schließlich um die Position als Leiter des Künstlerhauses »Lydda«. Er setzt sich gegen 60 Mitbewerber durch und tritt seine neue Stelle an. Mit einer »Engel-Ausstellung« zur Weihnachtszeit, bestückt mit zahlreichen selbst gestalteten Werken der Bewohner Bethels, gerät »Lydda« erstmals unter Leitung Kempers ins Bewusstsein der Stadt.
»Jeder soll seine Spuren entdecken«, beschreibt Kemper seine Arbeit mit den Menschen in Bethel. »Man merkt, dass Kunst die Menschen selbstständiger werden lässt.«
In der jährlich stattfindenden Sommerakademie des Kunsthauses wird den Bewohnern Bethels die Gelegenheit gegeben, sich eine ganze Woche lang künstlerisch zu betätigen. Die wechselden Themen, im vergangenen Jahr war es »Wachsen und Blühen«, sollen ihnen dabei genug Freiheit lassen, sich zu entfalten. Dabei betont Kemper, dass sich die in »Lydda« entstehenden Werke sehen lassen können: »Wir haben die typische Anstaltskunst überwunden.« Laut seiner Aussage gebe es mittlerweile deutschlandweit Sammler der in Bethel entstehenden Kunst. »Wir lassen die Werke hier schätzen«, erklärt er. Den Erlös aus Verkäufen bekommen die Künstler selbst.
Auch wenn sich Kemper Mitte des Jahres aus Bethel verabschiedet, hofft er auf eine erfolgreiche Fortsetzung seiner Arbeit. Für ihn steht fest: »Bethel kann nur lebendig bleiben, wenn immer wieder neue Impulse von außen kommen.«

Artikel vom 24.01.2007