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Tausendfaches Unrecht im
Namen der Volksgemeinschaft

Wie der Nationalsozialismus die Justiz verdarb - Ausstellung in Detmold

Von Dietmar Kemper
Detmold (WB). Deutschlands schlimmster Jurist, Roland Freisler, nannte Sondergerichte »eine Panzertruppe der Rechtspflege«. Schnell und mit »großer Kampfkraft« sollten sie »Volksschädlinge« ausschalten. Anhand der Biographien von Opfern aus Ostwestfalen-Lippe schildert das Staatsarchiv Detmold, wie das vordem hoch angesehene deutsche Rechtswesen zum Instrument einer Diktatur verkam.
Wilfried Knauer betrachtet das Modell des Gefängnisses in Wolfenbüttel, das ein Häftling gebaut hatte. In der NS-Zeit wurden 2200 Verfahren gegen angebliche »Volksschädlinge« aus Ostwestfalen eingeleitet.
Die Original-Guillotine aus der Hinrichtungsstätte symbolisiert die »Blutjustiz«. Fotos: Victor Fritzen
Die Ausstellung »Justiz im Nationalsozialismus - Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes« ist eine Gemeinschaftsarbeit mit der Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel. In der dortigen Hinrichtungsstätte, einer von 21 im Dritten Reich, starben viele Verurteilte aus Ostwestfalen-Lippe. In der Ausstellung ist das Fallbeil genauso zu sehen wie die Tür einer Todeszelle. Das im Dezember 1940 in Bielefeld angesiedelte Sondergericht verhängte bis Kriegsende 60 Todesurteile, von denen 50 vollstreckt wurden.
Bereits im Frühjahr 1933 hatte die deutsche Justiz ihre Unschuld verloren. »Die Mehrheit der Richter und Staatsanwälte begrüßte das autoritäre Staatsregime, es setzte die Ausgrenzung, Degradierung und Entlassung von jüdischen Anwälten und Notaren sowie von politisch missliebigen Juristen ein«, sagte Johannes Kistenich, der die Ausstellung gestaltet hat.
Das Justizministerium entzog dem jüdischen Rechtsanwalt Ernst Ikenberg aus Nieheim im Mai 1933 die Zulassung, weil er »nicht arisch« sei. Vom Land- ans Amtsgericht Detmold wurde Bernhard Ebert strafversetzt, nur weil er in einem Brief an den ehemaligen SPD-Abgeordneten im preußischen Landtag, Erik Nölting, geschrieben hatte: »Ich begrüße vieles im neuen Staate; ich bin aber kein Nationalsozialist.« Als rechtliche Grundlage der Säuberungen diente das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933.
Volksgemeinschaft sei der »Schlüsselbegriff der Rechtsprechung« gewesen, und diese »nie genau definierte Gemeinschaft durfte nicht zersetzt werden«, erläuterte der Leiter der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel, Wilfried Knauer. »Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht«, betonte der Kieler Rechtswissenschaftler Karl Larenz 1935, und ein Jahr später dozierte Hans Globke, nach dem Krieg Adenauers Kanzleramtschef, in einem Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung: »Das rassische Denken des Nationalsozialismus bedeutet eine Abkehr von dem liberalistischen Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen.«
Weil er die Bekennende Kirche unterstützte, musste der Bielefelder Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh wegen »Heimtücke« im November 1937 in den Gerichtsgefängnissen Petershagen und Minden in Untersuchungshaft sitzen. Den Zeugen Jehovas, Franz Kusserow aus Bad Lippspringe, verurteilte das Sondergericht Bielefeld am 29. August 1941 als »gefährlichen Gewohnheitsverbrecher« zu fünf Jahren Zuchthaus mit Sicherungsverwahrung.
Buchstäblich in Lebensgefahr schwebten diejenigen, die angeblich die »Wehrkraft« zersetzten: Weil sie Schweine schwarz geschlachtet hatten, sollten die Eheleute Maria und Josef Joachim aus Liemke (Kreis Gütersloh) sterben. Das Todesurteil wurde am 1. September 1942 aber in langjährige Haftstrafen umgewandelt.

Artikel vom 24.01.2007