31.01.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Predigen, was das Volk glauben will

Kai Meyers großer historischer Roman »Herrin der Lüge« ist erschienen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). 5000 Jungfrauen begeben sich auf einen Kreuzzug ins Heilige Land, weil die »Herrin der Lüge« das predigt, was die Menschen glauben wollen. Kai Meyer ist ein Meister der historischen Erzählung, sein Talent zum Fantasy-Genre stellt er diesmal zurück.

Historische Nähe ist angesagt: »Es gab weibliche Ritter unter den Franken, mit Rüstungen und Helmen, gekleidet wie Männer, die ins dichte Schlachtgetümmel ritten.« Saladins Sekretär ist Kai Meyers Kronzeuge dafür, dass seine Fiktion nah an den Fakten bleibt.
Wohl deshalb liefert das Zitat aus dem 12. Jahrhundert die allerersten Worte seines neuesten, 822 Seiten starken historischen Roman. Der aus dem Stand gefesselte Leser wird wiederum mit auf eine Reise genommen, die vom Abend- ins Morgenland führt. Anders als in »Das Buch von Eden« bewegen sich diesmal zwei Erzählstränge nicht aufeinander zu. Vielmehr gibt es eine atemberaubende Verfolgung.
Der junge Spielmann Faun folgt seiner Zwillingsschwester Saga, die von einer eigensüchtigen Edelfrau zur »Magdalena« und damit zu einer Erscheinung aufgebaut wird. Überzeugend schildert Meyer, wie allein das Gerücht von einem bevorstehenden Kreuzzug der Frauen auf Dörfer und Städtchen der deutschen Landschaften des Jahres 1210 magische Kraft ausübt.
Alle sind in Bewegung: in der Kutsche, hoch zu Ross, zu Fuß und auf See. Und natürlich bleiben schicksalhafte Verstrickungen nicht aus, aber nichts ist gekünstelt, alles stimmig aufeinander aufgebaut.
Der Zug über die Alpen per Via Mala, die Sammlung bei Mailand und an den Kais von Venedig sind so detailverliebt wie spannend erzählt, der hier nicht preiszugebende Kulminationspunkt ist ein atemberaubendes Leseerlebnis.
Bei den Zutaten fehlt es an nichts: Ein böser Ripper-Ritter, finstere Sklavenjäger, die Meisterhure des Papstes, böse Burgherren, kriminelle Kirchenmänner und ein großherziger Söldnerführer - sie alle geraten ins Räderwerk einer gigantischen Verschwörung, die es historisch durchaus gegeben haben könnte, aber nicht muss. Kurzum: Eine Historien-Schau vom Feinsten.
Kai Meyer, Herrin der Lüge, Historischer Roman, erschienen im Lübbe-Verlag, 22 Euro

Artikel vom 31.01.2007