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Der CIA-Untersuchungsausschuss

»Die USA haben Deutschland 2002 angeboten, den Häftling freizulasen.«

Leitartikel
Steinmeier zu Kurnaz

»Planspiele« und peinliche Haarspalterei


Von Reinhard Brockmann
Es gibt keinen Zweifel mehr, dass die USA den vermeintlichen »Bremer Taliban« Murat Kurnaz ein Jahr nach dessen Festnahme erstens für unschuldig hielten und zweitens die Entlassung zu dessen Familie in Bremen angeboten haben.
Das hat der CIA-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments klipp und klar festgestellt - neben einer peniblen Auflistung von 1245 CIA-Gefangenen-Flügen über Europa, 336 davon mit Zwischenlandung auf deutschem Staatsgebiet.
Für Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird es eng. Mit diplomatischer Raffinesse wies er gestern die Vorwürfe gegen ihn und die rot-grüne Bundesregierung zurück. Die Leidensgeschichte des in Deutschland geborenen Türken sei erschütternd, so ließ sich der Minister erstmals persönlich ein, um im gleichen Atemzug etwas zu dementieren, das ihm gar nicht vorgehalten wird: Der Vorwurf, die Bundesregierung sei für Folter und Erniedrigung von Terrorverdächtigen im US-Gewahrsam verantwortlich, sei »erstens falsch und zudem schlicht infam«, formulierte Steinmeier wortstark. Auch habe es im Jahr 2002 »kein Angebot der USA an Deutschland« gegeben: »Ich kenne ein solches Angebot nicht.«
An dieser Stelle kann sich Steinmeier nur noch damit herausreden, dass es kein offizielles Angebot gegeben habe. Denn in den Gesprächen der Sicherheitsbehörden untereinander hat es so etwas sehr wohl gegeben.
Es wird sich zeigen, wie lange der Bundesaußenminister mit solch einer Haarspalterei noch Regierungsmitglied bleiben kann.
Beamte aus Steinmeiers Behörden streuten unterdessen das schöne Wort »Planspiele«. Dieses Eingeständnis lässt allerdings tief blicken. Es belegt, dass unterhalb der formalen Ebene eben doch Gespräche und Überlegungen stattfanden. Steinmeier selbst gibt zu bedenken, es seien damals »nicht ganz einfache Jahre« nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gewesen. Der kundige Thebaner weiß Bescheid, wenn er Sätze wie den folgenden hört: »Es ging doch mit Priorität darum, Deutschland vor terroristischen Angriffen zu schützen und möglichst zu garantieren, dass von Deutschland keine weiteren terroristischen Aktivitäten ausgehen.« Neben humanitären Aspekten hätten eben auch Sicherheitsfragen berücksichtigt werden müssen, heißt es weiter.
Es kann nicht zwei Wahrheiten geben. Und es muss Verantwortliche geben dafür, dass ein Unschuldiger viereinhalb Jahre erniedrigt und misshandelt wurde. Keine Frage: Über allem schwebt die Gesamtverantwortung der USA für Guantánamo. Gleich darauf folgt aber die verwehrte Chance, Kurnaz davon zu erlösen.
Steinmeier war Edelhelfer einer Regierung, die höhere moralische Maßstäbe für sich in Anspruch nahm. Gerade die äußerst US-kritische Haltung des damaligen Bundeskanzlers und der plakative Menschenrechtskurs des seinerzeitigen Außenministers erlauben bis heute keine Ausflüchte - und schon gar nicht windige Wortklaubereien.

Artikel vom 24.01.2007