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Träger unbefestigt -
Bahnkunden entsetzt

Debatte über technische Fragen zum Berliner Bahnhof

Von Ulrike von Leszczynski
Berlin (dpa/WB). Die Orkanböen in Berlin haben sich gelegt, doch die Schäden des Sturmtiefs »Kyrill« am Berliner Hauptbahnhof halten die Hauptstadt weiter in Atem.
Siegfried Bresler erlebte die Evakuierung in Berlin.

Wie konnte es passieren, dass sich am nagelneuen Prestigeobjekt der Bahn ein zwei Tonnen schwerer Stahlträger aus der Fassade löst und auf das Pflaster donnert?
Hinzu kommt der Ärger der Fahrgäste, die am Sonntag zum zweiten Mal in den Regen hinaus komplimentiert wurden. Siegfried Bresler (49), einer von den Reisenden an diesem windigen, aber nach seinem Eindruck nicht mal sonderlich stürmischen Nachmittag, fasst sich an den Kopf: »Tausende wurden genau auf den Ausgang zugetrieben, vor dem am Donnerstag der Eisenträger abstürzte.« Der Bielefelder: »Wir standen im Regen und sahen schräg über uns genau die Stelle, an der drei Träger fehlten.«
Dafür gab es kaum Auskünfte, sofern sich überhaupt jemand von der Bahn vor die aufgebrachten Reisegäste traute. Besonders ärgerlich: Reisende, die ihr Gepäck zur Aufbewahrung abgegeben hatten, mussten viele Stunden warten, während die Sicherheitsleute der Bahn selbst schneller zum Zuge kamen.
Fassungslos reagierten gestern Reisende aus ganz Deutschland auch auf die Tatsache, dass in Berlin Stahlträger nur wie ein Regalbrett auf Halterungen liegen, ohne Schrauben oder Schweißnähte. Die Bahn spricht selbstkritisch von einem Imageschaden. Sie droht damit, den Verantwortlichen rechtlich und finanziell zur Verantwortung zu ziehen - und bleibt weiter in Erklärungsnot.
Es hagelt Vorwürfe. Vom Imageverlust für die Hauptstadt und vom miserablen Krisenmanagement ist die Rede. Berlins Tourismuschef Hanns Peter Nerger spricht von einer »peinlichen Angelegenheit« für den Architekturstandort Berlin.
Die Leserbriefe empörter Bahnkunden, die in drei Tagen gleich zwei Mal aus Sicherheitsgründen aus der eine Milliarde Euro teuren »Kathedrale des Reisens« ausgesperrt wurden, füllen ganze Zeitungsseiten in Berlin.
Es ist, als ob kein guter Stern über dem neuen Hauptbahnhof steht, der sich seit seiner Eröffnung im Mai zu einem Touristenmagnet mit Millionen Besuchern entwickelt hat. Schon die glanzvolle Eröffnung war vom Amoklauf eines Jugendlichen überschattet, der Passanten niederstach. Dann bekam Architekt Meinhard von Gerkan vor Gericht Recht, als er gegen die eigenmächtige Deckengestaltung der Bahn im Untergeschoss klagte. Das verkürzte Glasdach beschäftigt auch den Haushaltsausschuss des Bundestages.
Nun diese Panne. Sie wirft fahles Licht auf die Superlative, mit denen die Bahn ihren teuersten Bahnhofsneubau gepriesen hat. Fachleute wie der Statiker Gerd Schnitzspahn, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, haben eine Meinung zum Absturz des Stahlträgers. »Diese Fassadenelemente hätten beim Bau befestigt werden müssen«, sagte gestern der Ingenieur. »Wer das übersehen hat, der hat jetzt ein großes Problem.«Kommentar

Artikel vom 23.01.2007