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Effekt mit einem Effekt-Stück

Neujahrskonzert mit Justus Frantz und der Philharmonie der Nationen

Von Uta Jostwerner
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Was war los? Jahr um Jahr sind die Neujahrskonzerte mit Justus Frantz und seiner Philharmonie der Nationen restlos ausverkauft. Nur in diesem Jahr blieben etliche Stuhlreihen in der Oetkerhalle frei. Und das, obgleich der beliebte Medienstar und sein Nationenorchester ein besonderes Schmankerl, nämlich Beethovens Neunte, servierten.

Zuvor aber überbrachten die Musiker Neujahrsgrüße aus 15 im Orchester vertretenen Nationen. Nur am Rande: Die deutliche Dominanz der osteuropäischen Länder korreliert exakt mit der musikalischen Breitenförderung, die in diesen Ländern von staatlicher Seite betrieben wird.
Nur die Türkei war mengenmäßig stärker vertreten durch den »Polyphonen Staatschor«, ein 1988 gegründetes Aushängeschild, welches das klassische Repertoire ebenso pflegt wie die zeitgenössische Musik türkischer Komponisten und das sich aufgeschlossen westlich gibt -Êso treten die Frauen ohne Kopftuch, dafür in wallend-bunten Gewändern auf.
Bei dieser opulenten Besetzung brauchte es »nur« noch eines Pianisten, um mit Ludwig van Beethovens selten gespielter »Fantasie für Klavier, Chor und Orchester« zu eröffnen. Kein Problem für Justus Frantz, der ausgebildeter Pianist ist und der in den 70er Jahren unter Karajan und Bernstein reüssierte. Ein paar Jahre schon liegt es zurück, da er in der Oetkerhalle selbst in die Tasten griff und en passant vom Steinway aus das Orchester dirigierte -Êmanchmal auch mit links, während die rechte Hand pittoreske Ornamentik zusteuerte. Noch immer ist Frantz ein veritabler Pianist, der die ausschweifende Partitur mit Weitsicht und makelloser Technik durchläuft und nebenbei zielstrebig auf den freudig jubelnden und huldvollen Abschlusschor zusteuert.
Als Dirigent zielt er ganz auf Pathos und Wirkung ab. Und Beethovens neunte Sinfonie mit dem fulminanten »Freude, schöner Götterfunken«-Chorfinale bietet ihm eine dankbare Vorlage, ist die Sinfonie mit ihren starken Kontrasten und auseinanderstrebenden Tonfällen doch ein ideales Effekt-Stück mit sozial-utopischem Horizont dazu. Was da so plakativ ausgesprochen wird -Ê»Alle Menschen werden Brüder« -Êfindet in Frantzens Dirigat seine musikalische Entsprechung. Viel Kontrastschärfe, aber auch einnehmend-innige Lyrik (im Adagio) förderte der Maestro zutage und sein Orchester setzte die Vorgaben weitgehend präzise um. Zwischen innigem Pianissimo in den Celli und Bässen und schneidendem Fortissimo im exzellenten Chor setzte Frantz die Akzente im Finalsatz und erntete dafür den tosenden Applaus des Publikums.

Artikel vom 23.01.2007