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Nie bei den Jusos, aber tief im Westen vertäut

Neue NRW-Vorsitzende Hannelore Kraft trifft den Ton

Von Reinhard Brockmann
Bochum (WB). Bochum, »Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt«, sollte es für den Parteitag der neuen Vorsitzenden Hannelore Kraft schon sein. Aber nicht der Ruhrkongress, wo die SPD die Agenda 2010 und ihre letzten von 39 Regierungsjahren in NRW zelebrierte.
Am Wochenende traf Hannelore Kraft beim Jahresempfang des Gütersloher SPD-Kreisverbandes auf Klaus Brandner. Foto: Wotke
Die Jahrhunderthalle, rostrotes Industriemuseun und »keine Schönheit, von Arbeit ganz grau«, wählten die Erfinder von »SPDÊ-ÊWir in NRW« deshalb für die Ära nach Jochen Dieckmann. Franz Müntefering, längst nach Berlin abgezogener Spitzengenosse hat verstanden: »Heute ist endlich der 22. Mai 2005 vorbei«, zimmert »der Franz« schlichte Sätze der Erleichterung und neuer Hoffnung. Oder: »Heute fängt was an.« Alle 450 Delegierten von Minden bis Mettmann, sofern sie schon da sind, haben verstanden. »2010 wird was passieren. Wir wollen regieren.«.
»Bist «ne ehrliche Haut«, Herbert Grönemeyers Pütt-Platt schwingt bei allem Gesagten mit an diesem verregneten Samstag nach dem Sturm. »Klare Kante«, das verspricht allen voran Hannelore Kraft, die sich für die sichere Wahl als Landesvorsitzende ohne Gegenkandidat redlich müht. 95,6 Prozent der Stimmen soll sie am Ende mit handfester politischer Rhetorik zurecht verdient einstreichen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität seien »der Kitt, der uns alle miteinander verbindet«, sagt sie, streichelt die Parteiseele und boxt um sich. »Rüttgers ist ein Sozialschauspieler« -Ê endlich kontern wir - denkt mancher auf dem Betonfußboden - diese furchtbar provokante Machtergreifung in der Wahlnacht. Der CDU-Mann erklärte sich seinerzeit als einzig wahrer »Arbeiterführer« - unvorstellbar. So etwas wurmt, so 'was muss noch mal ins Hammerweg der Genossen-Rede.
Anders als Münteferings Schwärmtirade aus besseren Zeiten, die angeblich wiederkommen sollen, trifft die 45-jährige Späteinsteigerin Kraft die Gemütslage. Standing Ovations, selbst Traditionssozen nicht mehr fremd, gibt es am Ende ihrer Rede. Emotionen und feuchte Augen ergreifen die Frischgewählte, als sie auf »ihre Mühlheimer« blickt: »Danke, bei Euch hab' ich es gelernt«.
Nie bei den Jusos gewesen, 1994 in die SPD eingetreten, nur weil daheim die CDU das Rathaus kippte, hat die Mülheimerin Traumkarriere gemacht. Neben Andrea Ypsilanti aus Hessen steht sie für junge, eher linke Frauen, die eines Tages sogar mehr könnten als Landesvorsitzende.
Kraft nennt die SPD »ein Stück Heimat« und geht schnurrstracks auf den Landesvater los: »Dieser Ministerpräsident hat kein Konzept für NRW«, seine Wirtschaftspolitik sei »Totalausfall« und pures Schwarz. Nichts ist mit Grubengold und Blume im Revier: Die CDU/FDP-Regierung »bringt im Ruhrgebiet nicht einmal eine Taschenlampe zum Leuchten«.
Kraft-Sprüche solcherart kommen an bei der Avantgarde der wahren Arbeiterbewegung. Schade nur, dass 90 Prozent im Lande den Namen Kraft nicht kennen oder schon wieder vergessen haben, dass sie einst Europa- und Hochschulministerin gewesen ist.
Ihr Wort vom »dauerhaften Steinkohle-Sockelbergbau« dürfte schon beim Kohlegipfel am 29. Januar in Berlin gewogen werden. Ohne festes Auslaufdatum wird die Rüttgers-Riege 500-Millionen-Subventionen streichen. Problem: Der Kraft-Genosse Peer Steinbrück will auch nicht einspringen.
Das alles ficht an diesem Samstag nicht an, als dann auch noch Parteichef Kurt Beck die höchsten Weihen erteilt. »Hannelore war wichtig, ist wichtig und wird noch wichtiger sein«.
Schön auch für alle hier, dass der DGB zur SPD zurückgefunden hat. NRW-Obergewerkschafter Guntram Schneider grätsch voll rein: »Herr Rüttgers hat ein sizilianisches Verhältnis zur Wahrheit«. Der Gewerkschafter riskiert die dickste Lippe. Man ist unter sich in Grönemeyers Bochum: »Auf deiner Königsallee / Finden keine Modenschauen statt« und: »Wer wohnt schon in Düsseldorf?«

Artikel vom 22.01.2007