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Gleich zwei Abgründe erblickt

Murat Kurnaz gilt als glaubwürdig - Steinmeier 2002 gegen Rückkehr

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Von »Abgründen« sprach Unionsfraktionschef Volker Kauder am Ende dieser Woche in Berlin. Niemand konnte sagen, was schwerer wog: die unnötige Haft und das Leiden des Murat Kurnaz oder die US-Folter- und Verhörpraxis.

Viele Stunden haben Jürgen Herrmann (Brakel) und zwei Dutzend andere Bundestagsabgeordnete in zwei Untersuchungsausschüssen dem 24-jährigen in Deutschland geborenen Türken gegenüber gesessen. An der Glaubwürdigkeit des noch so jungen, aber schon gebrochenen Mannes mit dem gesenkten Blick hegt kaum jemand Zweifel. Elke Hoff (FDP) nennt Kurnaz' Aussage in hohem Maße zuverlässig. Auch der in Polizeiarbeit ausgebildete CDU-Politiker Herrmann hält das allermeiste Gehörte für schlüssig.
So sei Kurnaz davon überzeugt gewesen, dass ihn ein Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes sowohl 2001 in Kandahar als auch später in Guantánamo gegenübertrat. Selbst die vermeintlichen Elite-Soldaten der Bundeswehr seien für ihn ohne Zweifel Deutsche gewesen. Herrmann: »Man stelle sich vor, da sprechen plötzlich zwei nichtamerikanische Soldaten deine Sprache, die Isolation scheint gebrochen und keine 20 Minuten später schlägt dir einer von denen voll ins Gesicht...«
Dass alle diese Begegnungen Täuschungsmanöver und perfide US-Verhörmethoden gewesen sein könnten, dieser Verdacht reifte jetzt erstmals in Berlin. Als äußerst schäbig bezeichnete auch SPD-Verteidgungsexperte Rainer Arnold die Vorstellung, dass Agenten in die Rolle etwa von Rot-Kreuz-Helfern schlüpfen könnten. Getoppt wurden die ungeheuerlichen Vorstellungen am Freitag noch durch Belege, mit denen die »Süddeutsche Zeitung« die frühere rot-grüne Bundesregierung in Bedrängnis brachte.
Berlin soll die Freilassung des unschuldig inhaftierten Murat Kurnaz über Jahre gezielt verhindert und sogar versucht haben, einen neuen Terrorverdacht gegen ihn zu konstruieren. Papiere des Auswärtigen Amtes unterfüttern offenbar, dass auch der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in den Fall eingebunden war. Auf jeden Fall waren die BND- bzw. Geheimdienstchefs August Hanning und Ernst Uhrlau mit im Boot.
Maßgeblich geplant worden sei das Vorgehen im Innenministerium unter Otto Schily (SPD), heißt es. Dort sei ein Plan erarbeitet worden, die Stadt Bremen zum Entzug von Kurnaz' Aufenthaltsgenehmigung zu drängen, weil der in absoluter Isolation gehaltene »Taliban« nicht wie erforderlich nach einem halben Jahr nach Deutschland zurückgekehrt sei.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm blieb am Freitag nichts zu sagen, als dass Steinmeier hervorragende Arbeit für Deutschland leiste und das Vertrauen der Bundeskanzlerin genieße.
Hintergrund: Die USA haben 2002 ganz offenbar ein Angebot zur Freilassung des damals schon als ungefährlich eingestuften Kurnaz unterbreitet. Erst vier Jahre später kam er auf Initiative von Angela Merkel frei.
In einer Notiz des Außenamts vom 26. Oktober 2005 heißt es: »Die Frage der Zulassung der Wiedereinreise von Kurnaz war laut Bundesinnenministerium und dem Chef des Bundeskanzleramtes bereits mehrfach Gegenstand der nachrichtendienstlichen Lage. Dort sei auch mit dem Auswärtigen Amt Übereinstimmung erzielt worden, eine Wiedereinreise des K. nicht zuzulassen.« Kommentar

Artikel vom 20.01.2007