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»Diem-Diskussion« wird
um ein halbes Jahr vertagt

Vor Straßenumbenennung Uni-Untersuchung abwarten

Senne (oh). »Warum hat man die Bewohner nicht gefragt?«, empörte sich Kathrin Pohlmann, Anwohnerin des Senner Diemweges, in der Einwohnerfragestunde der Senner Bezirksvertretersitzung. Keiner von ihnen habe Probleme mit der Namensgebung. »Wir stehen dazu!«, betonte Pohlmann vehement. Allenfalls könne der Hinweis »Sportführer« am Straßenschild wegfallen.

Spätestens an diesem Punkt war allen Beteiligten am Donnerstagabend klar: Der Beschluss über den gemeinschaftlichen Antrag von SPD und Bündnis'90/Die Grünen auf Umbenennung der kleinen Senner Straße mit gerade einmal zehn Häusern - das WESTFALEN-BLATT berichtete am Freitag voriger Woche exklusiv - würde kein einfacher werden.
Die Bürger waren unzufrieden mit dem Vorgehen der Politik, ließen sich auch durch die Auskunft von Bezirksvorsteher Ferdinand Stöppel nicht beirren, dass im Vorfeld eines solchen Vorhabens eine Bürgerbeteiligung nicht zwingend notwendig sei. Ebenso stieß Stöppels Erklärung auf Protest, Kosten, die Anwohnern durch eine Straßenumbenennung entstünden, würden nicht erstattet werden.
Schon seit Monaten hatte es bei den Kommunalpolitikern interne Auseinandersetzungen hinter verschlossenen Türen gegeben - seitdem SPD-Fraktionssprecherin Karin Schrader eine Namensänderung des Weges in die Diskussion gebracht hatte. Durch das »Vorpreschen« eines Bezirksvertreters erfuhren die Anwohner eher als geplant vom Vorhaben der Straßenumbenennung. Eine einstimmige Unterschriftenaktion »Pro Diemweg« war die Folge.
Eine Einigung der Fraktionen konnte selbst nach ausgiebigen Gesprächen nicht erreicht werden - die Standpunkte waren zu verschieden und festgefügt. Per Antrag sollte deshalb jetzt entschieden werden, ob der Sportfunktionär und Gründungsrektors der Deutschen Sporthochschule Köln, Carl Diem (1882 - 1962), weiterhin Namensgeber für die Straße in Senne sein könne. Denn: Neben seinen allgemein anerkannten Verdiensten um den Sport im allgemeinen, stand Diem »den ideologischen und politischen Wertvorstellungen der Nationalsozialisten nicht nur persönlich sehr nahe, sondern dieses auch in seiner Funktion als Sportfunktionär«, wie SPD und Grüne in ihrem Antrag formulierten.
Diem habe sich bis zu seinem Tode nicht von seinen Äußerungen distanziert, bei denen er unter anderem »in einem flammenden Appell an die Kinder und Jugendlichen diese aufforderte, für Führer, Volk und Vaterland zu sterben«, begründete Karin Schrader. Sie zitierte Reinhard Appel (ehemaliger ZDF-Chefredakteur und Augenzeuge), dass bei dem hoffnungslosen Versuch, das von Russen besetzte Olympiafeld zurück zu erobern, 2000 von ihnen getötet oder schwer verletzt worden seien.
Auch Grünen-Bezirksvertreter Heiko Rohde äußerte sich unmissverständlich: »Der Mann hat keinen Deut bereut, was er gesagt hat. Als Demokrat bin ich nicht gewillt, seinen Namen durch eine Straße zu ehren.« Ähnlich begründete Ilona Neumann (SPD) ihre Auffassung und konterte auf den Zwischenruf eines Bürgers, dass die Zahlen nicht stimmten und bewiesen wären: »Selbst wenn es nur ein Kind wäre, dass dabei ums Leben gekommen ist, möchte ich nicht in einer solchen Straße wohnen.«
Bewegung in die festgefahrene Diskussion - die CDU war gegen eine Umbenennung - brachte BfB-Vertreter Alexander von Spiegel mit seinem Antrag. Über das Handeln Carl Diems gebe es unterschiedliche Auffassungen. Derzeit würden an der Universität Münster neue Untersuchungen über ihn angestellt. »Wir sollten das Ergebnis abwarten«, forderte er. Außerdem sollten die Bürger in das weitere Vorgehen einbezogen werden. Um über diesen Antrag fraktionsintern beraten zu können, gab es eine Sitzungsunterbrechung sowie eine weitere Möglichkeit für die Bürger, ihre Sicht darzustellen. Das Ergebnis: Bei einer Enthaltung (Friedhelm Bolte, FDP) stimmten sieben Bezirksvertreter für den von Spiegelschen Antrag des Abwartens und fünf dagegen.

Artikel vom 20.01.2007