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Notfallbegleitung: Erste Hilfe für die Seele

Gruppe Ehrenamtlicher steht im Kreis Gütersloh den Menschen in schwerer Stunde zur Seite

Von Manfred Köhler
Verl (WB). Schnell kann das Leben sich von seiner grausamsten Seite zeigen: tödlicher Unfall, Selbstmord, schwere Krankheit, plötzlicher Kindstod -ĂŠalles verliert seinen Sinn. In solchen Stunden braucht ein Mensch Hilfe - erste Hilfe für die Seele. Dafür steht seit 2000 die Notfallbegleitung Gütersloh rund um die Uhr im Kreisgebiet bereit.

Es handelt sich um eine Gruppe Ehrenamtlicher, deren Mitglieder aus allen Berufssparten kommen - vom Hausmeister über die Psychologin bis hin zum Pfarrer. Einer von ihnen ist Pfarrer Bernd Tiggemann aus Verl. Der evangelische Pastor, der seit 2004 auch Feuerwehrseelsorger in Verl ist, gehört seit eineinhalb Jahren zu dem im Jahre 2000 gegründeten Notfall-Team und sieht in seiner ehrenamtlichen Arbeit eine sinnvolle Ergänzung seiner seelsorgerischen Aufgaben.
»Menschen in Extremsituationen zu begleiten, gehört ja zu den Grundaufgaben unseres Berufsstandes«, sagt er und bedauert: »Leider wird gerade diese elementare Seite im alltäglichen Gemeindeleben kaum in Anspruch genommen.« Es habe ein Wandel stattgefunden: Früher seien die Menschen zum Pfarrer gegangen, heute gingen sie eher zum Psychotherapeuten.
Doch wenn Bernd Tiggemann bei der Notfallbegleitung auch mit dem Herzen des Geistlichen bei der Sache sei, so wedele er im Einsatz doch nicht mit der Bibel, wie er lächelnd feststellt und betont: »Dies sind keine speziellen Pfarrereinsätze. Darum heißt es auch nicht Notfallseelsorge, wie oft fälschlich geglaubt wird, sondern eben Notfallbegleitung.« Dennoch: Ganz ohne geistlichen Beistand wollten die Menschen auch nicht sein. Wenn sie hörten, dass sie es mit einem Pastor zu tun haben, sei oft ein Gebet erwünscht.
Die Pastoren seien im großen Team von etwa 30 Ehrenamtlichen nur eine winzige Gruppe. »Und die Bibel und theologische Weisheiten bleiben erstmal vollkommen außen vor. Mit solchen Gedanken kann man nicht kommen. Das, was Angehörige brauchen, die gerade jemanden verloren haben und unter Schock stehen, ist ganz konkrete Hilfe«, weiß Pastor Tiggemann. Da stünden die kleinen Dinge des Alltags im Vordergrund.
Es komme vor, dass er mal die Kinder ins Bett bringe, Kaffee koche oder Fragen nach dem Begräbnis beantworte. »Wir treten nicht als Helfersupermänner und -frauen auf, sondern sind schon sehr zufrieden, wenn wir einfach nur durch Zuhören helfen können«, erzählt er. »Wenn ich das Gefühl habe, es ist gut da gewesen zu sein, weiß ich, dass ich den Menschen ein bisschen Mut machen konnte.«
Doch auch die Helfer brauchen Helfer. Tiggemann: »Wir sind nie alleine, sondern immer zu zweit - im Idealfall ein Mann und eine Frau.« Das sei ein beruhigendes Gefühl. »Schon wenn ich zum Einsatz gerufen werde, der Adrenalinspiegel steigt und ich ein mulmiges Gefühl habe, denke ich: Gut, dass der Teampartner dabei ist.« Vor allem wenn Kinder im Spiel seien, könne eine Notfallsituation an die Substanz gehen. »Oder wenn eine Frau in ihrer Verzweiflung zwei Stunden lang unaufhörlich laut weint, dann ist man einfach froh, mal an die frische Luft gehen zu können und der Partner übernimmt.«
Teamfähigkeit ist darum eine Grundvoraussetzung für jeden Notfallhelfer. »Darauf wird jeder, der bei uns mitmachen möchte, genau geprüft«, betont Bernd Tiggemann, »und ob er in die Gruppe passt.« Hilfe bekommen die Ehrenamtlichen der Notfallbegleitung auch durch die regelmäßigen Teamtreffen. »Die sind Pflicht«, sagt Pastor Tiggemann. Es helfe sehr, Einsätze noch mal durchzugehen. Und sich regelmäßig fortzubilden. Das wirke entlastend: »Je mehr ich weiß, um so ruhiger werde ich«, weiß er aus Erfahrung. Da helfen schon erste konkrete Informationen vor dem Einsatz, aber auch das Protokoll im Anschluss. Die größte Hilfe ist ihm aber sein Glaube: »Er ist meine Kraftquelle. Und ich bin überzeugt, dass der Tod nicht nur eine schreckliche Seite hat, sondern dass wir auch im Tod aufgefangen werden.«

Artikel vom 27.01.2007