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Sachlichkeit trifft Sinnlichkeit
Zaha Hadid und Naoto Fukasawa entwarfen auf der Möbelmesse »Ideal Houses« für das Wohnen in der Zukunft
Auf der internationalen Möbelmesse sind sie wieder bestaunt worden, die guten Ideen für den Alltag. Hier ein Sofa, das in Sekundenschnelle in ein Bett umgewandelt ist. Da ein Tisch, der sich fast von selbst meterweise verlängert. Dort ein Balkonkasten, in dem sich statt Geranien ein Würstchengrill versteckt. Interessante Ideen. Aber zukunftsweisende Ideale?
Für Visionen und die Utopien sind auf der am vergangenen Wochenende zu Ende gegangenen »IMM Cologne« die »Ideal Houses« zuständig. Seit fünf Jahren beauftragen die Design-Experten vom Rat für Formgebung und die Kölner Messegesellschaft Star-Architekten und -Designer, ihre Ideale und Vorstellungen vom Wohnen in der Zukunft zu realsieren und auf der Möbelmesse in den Raum und zur Diskussion zu stellen. In diesem Jahr waren die Gegensätze zwischen der in London lebenden irakischen Architektin Zaha Hadid und dem japanischen Produktdesigner Naoto Fukasawa besonders groß.
Alles Leben kommt ursprünglich aus dem Wasser. Und genau wie im Wasser sollen wir in Zukunft wohnen - jedenfalls nach der Vorstellung von Zaha Hadid. Alles fließt, alles scheint in ihrem »Ideal House 2007« ständig in Bewegung zu sein. Damit eröffnen sich dem Auge ständig neue Perspektiven. Die deutsche Möbelwirtschaft benutzt das sehr unschöne Wort »Kastenmöbel« für alle quaderförmigen Schränke und Kommoden, mit denen wir unsere Schlaf-, Wohn- und Kinderzimmer vollstellen. Die Natur und vor allem das Wasser kennen keine Rechtecke und keine Quader, keine Kanten und keine scharfen Trennungslinien. Und genauso wenig kennt sie Zaha Hadids Haus. Alles wiegt, alles wogt. Das ist Sinnlichkeit pur.
Architektur und Möbel scheinen zu verschmelzen. Die Decke über dem ersten Stockwerk wölbt sich wie ein Himmel. Das Bett, von dem aus man in der oberen Etage einen herrlichen Blick in den Abendhimmel oder auf den Messeboulevard hat, kennt in seiner freien Form keinen Anfang und kein Ende -Êkann also in jeder Richtung beschlafen werden. Selbst die Tischplatte im Küchenbereich ist nicht glatt, sondern wellt sich wie eine bewegte Wasseroberfläche. Wie soll man hier einen vollen Kochtopf abstellen, ohne dass der Inhalt überschwappt?
Angesichts der Größe von Zaha Hadids Entwurf wirken solche Sorgen kleinkarriert. Nichts anderes als ein Gegenkonzept zum deutschen Bauhaus erhebt sich in Köln vom breiten Messeboulevard in bis zu acht Meter Höhe. Nichts ist mit der Orientierung an klaren Linien, mit der an sachlichen und funktionellen Ansprüchen ausgerichteten Formgebung. StattdessenÊgroße, orientalisch anmutende Ornamente und opulente Kurven -Êein Trend, wie ihn sich schon jetzt Teile der Möbelindustrie zu eigen gemacht haben. Swarovski und die kitschigen überdimensionierten Kronleuchter lassen grüßen.
Fukasawas Gegenentwurf zu Zaha Hadids »Ideal House« der Zukunft scheint auf den ersten Blick näher am Bauhaus-Geschmack der Deutschen: gerade Linien, massive Wände, das interieur auf das Notwendige reduziert, kein Schnörkel zuviel. Und doch wirkt die Utopie des Japaners fremd. Das Leben in seiner Zukunftswohnung spielt sich vollständig ebenerdig ab, eingezwängt in bestürzend hohe Wände. Fast fühlt man sich in einer Schlucht. Oberhalb der Augenhöhe sind die Mauern nur noch weiß: kein Bild, keine Lampe, nichts. Darunter befindet sich das, was der moderne Mensch nach Meinung Fukasawas zum schnellen Austausch mit seiner Umwelt an Kommunikationsmitteln sowie anderen Lebensnotwendigkeiten braucht. Die meisten Geräte sind in die Wände integriert.
Fukasawa hat sich bisher vor allem als Produktgestalter unter anderem für NEC, Epson und die Kaufhauskette Muji hervorgetan. Für ihn hat das Design eine dienende Funktion. Design erfüllt seiner Ansicht nach erst dann seine Funktion, wenn man dem »supernormalen« Produkt die Handschrift des Designers nicht mehr anmerkt.
Da ist Zaha Hadid von anderem Anspruch und Kaliber. Manche mutmaßten in Köln, in Hadid und Fukasawa stünden sich auch typisch weibliche und typisch männliche Sichtweisen entgegen. Der Horizont der Architektin endet dabei nicht an den äußeren Hauswänden: Auch die moderne Stadtplanung muss fließen. Die Bereiche müssen ineinander übergehen. Dann werde das Stadtleben harmonischer - und menschlicher.
Ein bisschen in Verlegenheit geriet Zaha Hadid in Köln nur ein Mal, und zwar als sie nach ihrer eigenen Wohn- und Arbeitsstätte gefragt wurde: »Das ist ein sehr trauriges Kapitel«, gestand sie. Der Entwurf für ein reales »Idealhaus« sei wie eine gemeinsame lange Reise von Architekt und Bauherr. Sie baue für andere, nicht für sich, erklärte Zaha Hadid.
Mitmenschen, die das Glück hatten, sie in ihrer Londoner Entwicklungswerkstatt besuchen zu können, haben berichtet, sie regiere dort »wie ein Feldwebel«Êüber ihre 60 Mitarbeiter. Schade, denn dadurch rückt die Vision wieder einmal ein Stück weiter in Richtung Illusion.
Wenn schon die Architektin selbst so wenig aus der Zukunft in ihren Alltag integriert, wird die Utopie wohl noch lange ein Traum bleiben. In der Zwischenzeit machen sich die kleinen Fortschritte der Designer nützlich. Henrik Dreckers Würstchengrill im Balkonkasten ist doch eine nette Idee, oder?
Übrigens: Wer ein Gespür für das Schöne im Nützlichen hat, kann damit sogar viel Geld verdienen. Die Preise für Design steigen nach einer Beobachtung der bei Bertelsmann erscheinenden Hochglanz-Zeitschrift »Park Avenue« im Augenblick stärker als für Kunst.
Bernhard Hertlein

Artikel vom 27.01.2007