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Kurnaz berichtet über Folter

BND-Ausschussmitglieder erschüttert - schwere Vorwürfe gegen Rot-Grün

Berlin (dpa). Der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat mit Erschütterung auf die Schilderungen des Bremer Türken Murat Kurnaz über seine jahrelange Internierung im US-Gefangenenlager Guantánamo reagiert.Murat Kurnaz: Isolierhaft und Kältefolter.

»Da tun sich Abgründe auf, wie die Amerikaner mit Kurnaz umgegangen sind«, sagte Ausschusschef Siegfried Kauder (CDU). Der 24-jährige Kurnaz berichtete gestern von Misshandlungen, Nahrungsentzug, Isolierhaft und Kältefolter. Sein Anwalt Bernhard Docke warf der früheren rot-grünen Bundesregierung vor, sie habe sich zu wenig für die Freilassung von Kurnaz eingesetzt und mitzuverantworten, dass er nicht 2002, sondern erst 2006 habe zurückkehren können.
Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und US-Soldaten in Afghanistan übergeben worden. Von dort wurde er Anfang 2002 nach Guantánamo auf Kuba gebracht. Auf dem US-Stützpunkt sei er im September 2002 von Mitarbeitern des deutschen Geheimdienstes knapp zwei Tage verhört worden, berichtete er. Bei der Vorlage von Fotos identifizierte Kurnaz einen dieser Beamten.
Während der Haft sei er immer wieder geschlagen und getreten worden. Zudem sei er mit Isolierhaft bestraft worden. In der Zelle hätten die Amerikaner ihn dann großer Kälte, Hitze oder auch - durch Abschalten der Belüftung - »Luftlosigkeit« - ausgesetzt.
Der Bremer Anwalt Docke verwies auf Berichte über ein Angebot aus den USA vom Oktober 2002, Kurnaz nach Deutschland zu überstellen. Dies soll auf Empfehlung des Bundesnachrichtendienstes (BND) abgelehnt worden sein. Es gebe dafür aber keinen nachvollziehbaren Grund, sagte Docke. Bereits damals hätten amerikanische und deutsche Geheimdienst-Vertreter den Terrorverdacht für unberechtigt gehalten.
Der Linksabgeordnete Wolfgang Neskovic bezeichnete den heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der als früherer Kanzleramtschef für die Geheimdienste zuständig war, als »Schlüsselfigur«. Sollten die Vorwürfe wahr sein, trage er die Verantwortung dafür, dass Kurnaz vier Jahre Haft in dem US-Gefangenenlager nicht erspart worden seien. Kauder bezeichnete die Frage als entscheidend, ob es ein Angebot zur Freilassung gegeben habe und wenn ja, warum es abgelehnt worden sei.
Docke zog das »bittere Fazit«: »Wäre Kurnaz Deutscher gewesen, wäre er schon im Herbst 2002 frei gekommen.« Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) habe auf ein Hilfsersuchen von Kurnaz' Mutter Anfang 2002 geantwortet, dass deutsche Hilfe wegen der türkischen Staatsbürgerschaft ihres Sohnes nur eingeschränkt möglich sei. Nach Angaben von SPD und Grünen setzte sich Fischer aber für Kurnaz ein, unter anderem bei seinem damaligen US-Kollegen Colin Powell.
SPD-Obmann Thomas Oppermann sagte, Kurnaz habe zwar eine menschenrechtswidrige Haft erlitten. Er sei aber kein Opfer deutscher Behörden: »Die Bundesregierung hat kein offizielles Freilassungsangebot bekommen.«
Als »zutiefst zynisch« bezeichnete Neskovic die Entscheidung deutscher Innenbehörden, Kurnaz während seiner Inhaftierung das Aufenthaltsrecht zu entziehen, weil er sich nicht wie erforderlich nach sechs Monaten in Deutschland zurückgemeldet habe.
Hans-Christian Ströbele von den Grünen erklärte: »Damit hat die Bundesregierung den Weg zu einer Freilassung nach Deutschland zugemacht.«

Artikel vom 19.01.2007