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Macht und Sinnstiftung
des Bildes in der Politik

Tagung von Wissenschaftlern aus Bielefeld und Yale

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Auf die Macht des Bildes setzen die Mächtigen nicht erst im Medienzeitalter. Schon antike Herrscher haben die Darstellungen ihrer Selbst nicht dem Zufall überlassen. Schließlich sagt ein Bild zuweilen mehr als 1000 Worte. Und es kann Botschaften und Eindrücke auf den ersten Blick vermitteln.

Mit der Visualisierung der Politik haben sich daher im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Wissenschaftler und Postgraduierte aus Bielefeld und Yale, New Haven, befasst. Ihre Konferenz war eingebettet in den Sonderforschungsbereich »Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte«.
Inspiriert durch Kultur- und Kunstwissenschaftler haben auch die Historiker begonnen, sich mit der Verbildlichung zu befassen, zu untersuchen, wie das Bild Ideen, Image und Mentalitäten, Mythen und Symbole transportiert und erzeugt, insofern also Teil des historischen Prozesses ist. Dabei, betont Dr. Bettina Brandt, Organisatorin der Tagung, könne es durchaus sein, dass ein Betrachter anders auf ein Bild reagiere und andere Schlüsse ziehe, als gewollt. »Bilder sind suggestiv, aber nur begrenzt funktionalisierbar.
Auf welchen Ebenen Bilder politisch eingesetzt wurden, verdeutlichten Tagungsbeiträge: Eine symbolische Inbesitznahme der Vogesen erfolgte, nachdem sie 1871 zu Deutschland fielen, durch einen deutschen Wanderclub, der neue Wegekarten herausgab und dabei bestimmte Punkte betonte. Als die Vogesen nach dem Ersten Weltkrieg wieder französisch wurden, nahmen sich die gallischen Wanderfreunde die lokalen Aktivisten jenseits des Rheines zum Vorbild und legten ihrerseits eine Wanderkarte auf - französisch geprägt.
Auch Sammelbildchen, wie sie seit Ende des 19. Jahrhunderts den Packungen von Haferflocken oder Zwieback beilagen, dienten, wenn sie historische Themen aufgriffen, der Konstruktion eines bestimmten Geschichtsbildes. »Sie stifteten eine kollektive Identität, verbildlichten eine gemeinsame Vergangenheit«, erklärt Brandt.
Wenn diese gemeinsame Vergangenheit allerdings aus dem Gedächtnis gelöscht werden soll, wenn mit Traditionen gebrochen und eigene Werte begründet werden sollen, kommt es umgekehrt zu Bilderstürmereien oder - wie vor wenigen Jahren in Afghanistan durch die Taliban - zur Zerstörung von Verbildlichungen.
Ebenso aber können Bilder, Filme, Skulpturen konstruierte Realitäten schaffen und manipulativ sein. Wie sehr sie den Menschen emotional »packen« wusste schon Bertolt Brecht, der mit seinem epischen Theater Erwartungshaltungen nicht nur nicht erfüllte, sondern durchbrach. »Er leitete damit eine kritische Reflexion ein und politisierte den Blick.« Ebenso bedient sich Regisseur Christoph Schlingensief der Medien, um etablierte Sichtweisen in Frage zu stellen und zu stören, gängige Politphrasen subversiv umzudrehen. Auch ihm war ein Tagungsbeitrag gewidmet.
Ziel der Wissenschaftler, so Brandt, sei, in unserem sehr visuell geprägten Zeitalter der Massenmedien den kritischen Blick zu schärfen. »Bilder sind plakativ und manipulativ.« Aber sie geben selbst dann Informationen - darüber, wie jemand gesehen werden möchte. Es steckt Kalkül dahinter, wenn sich Politiker im Kindergarten oder Altersheim ablichten lassen, wenn sie Schlips und Anzug oder Freizeitdress tragen. Sie wollen eine Botschaft unter das Volk bringen. »Wobei das Problem ist, dass sie eben keine Deutungshoheit haben.«
Angesichts der Bilderflut allerdings zieht das einzelne Bild heute selten das Augenmerk auf sich. »Die Ressource Aufmerksamkeit ist knapp. Es wird eher geschätzt, was sich irgendwie abhebt.« Und das wiederum verändere die Ästhetik. Es frage sich (und fragen sich die Forscher), ob kulturell etwas verloren geht. »Ein Bild wirklich zu betrachten, stemmt sich gegen die Zeit.«

Artikel vom 19.01.2007