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Frankreich bejubelt Baby-Boom

Kindergartenplatz kostet nichts - Väter erhalten bis zu 14 Tage Urlaub

Von Hanns-Jochen Kaffsack
Paris (dpa). Klipp und klar sagt die 22-jährige Stylistin Aurore Cotin aus Châlons-sur-Marne, was sie will: »Ja, drei oder vier Kinder sollen es sein, möglichst Jungen und Mädchen.« Mit zwei Geburten je Frau ist Frankreich mittlerweile eines der fruchtbarsten Länder der Europäischen Union.
Junge Mütter in Frankreich haben buchstäblich alle Hände voll. Foto: dpa
830 900 Kinder kamen 2006 neu auf die Welt. Dabei befindet sich die Zahl der Eherschließungen im freien Fall, die Franzosen stöhnen unter Kaufkraftverlust und vier von fünf Frauen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren arbeiten. All das würde Frauen in vielen europäischen Ländern davon abhalten, Nachwuchs zu bekommen. Und dennoch sind es gerade die selbstbewussten Französinnen von heute, die die höchste Geburtenzahl seit einem Vierteljahrhundert möglich gemacht haben - mit Vätern, denen bis zu 14 Tage Baby-Urlaub zustehen. Sollten es Zwillinge oder gar Drillinge werden, darf Monsieur sich 18 Tage in seine neue Rolle einarbeiten.
»Deutsche Frauen erblassen übrigens vor Neid«, sagt die Pariser Sozialwissenschaftlerin Marie-Agnès Barrère-Maurisson zu dem Phänomen à la française: »Nahezu die Hälfte der unter drei Jahre alten Kinder können in einen von der Gemeinschaft getragenen Hort gehen, und der Kindergarten ist gratis für alle ab zwei oder drei Jahren.« Frauen können bis zu der Einschulung drei Jahre Erziehungsurlaub nehmen, ohne den Verlust ihres Jobs befürchten zu müssen. Es gehört zum Selbstverständnis einer weiblichen Führungskraft, Erfolg im Beruf und als Mutter unter einen Hut bringen zu können - sie muss nicht mehr zwischen diesen beiden Dingen wählen.
»Frankreich ist da eine Ausnahme, und das geht auf 70 Jahre Geburtenpolitik zurück«, erläutern die Sozialwissenschaftler. Die »Fruchtbarkeit« wird in der »Grande Nation« als wichtiger politischer und wirtschaftlicher Faktor eingestuft. Die Franzosen vertrauen der Familienpolitik des Staates, weil sich an ihr seit dem Zweiten Weltkrieg nichts wesentlich geändert hat. Und sie sind »südländisch« genug geprägt, ihr Leben »familienorientiert« zu sehen, was auch mit den Millionen Einwanderern aus dem Maghreb zusammenhängt. Beihilfen, Steuererleichterungen und vor allem der Besuch der Vorschule von nahezu allen Kindern im Alter von drei Jahren erleichtern dieses Lebensbild.

Artikel vom 18.01.2007