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Geschmackliche Vielfalt
im blaugrauen Bembel
Apfelwein, das süß-saure Nationalgetränk der Hessen, hat eine lange Tradition
Für viele Besucher der Region Frankfurt-Rhein-Main ist eine Apfelweinprobe ein völlig neues Geschmackserlebnis - ist doch das süß-sauere Getränk außerhalb Hessens kaum verbreitet.
Wer sich näher damit beschäftigt, stößt auf eine ungeahnte geschmackliche Vielfalt. Deren Geheimnis beruht auf etwa 200 Apfelsorten, die immer noch auf den so genannten Streuobstwiesen in der schönen Landschaft der Region wachsen. Ihre sorgfältige Abmischung in der jeweiligen Kelterei sorgt für den individuellen Geschmack. Wer die Varianten kennen lernen möchte, kann Landschaften, Ausflugsziele und typische einheimische Gourmetziele entlang der hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute ansteuern.
Sie heißen Schafsnase, Boskop oder Bohnapfel und werden im Herbst zu süffigem Apfelwein verarbeitet. Es sind die typischen würzigen Apfelsorten mit hohem Säure- und Fruchtzuckergehalt und festem Fruchtfleisch, die dem hessischen Nationalgetränk seinen besonderen Geschmack verleihen. Aus den üblichen Tafelapfelsorten kann kein Apfelwein gepresst werden.
Die Vielfalt kann man am besten als Besucher der Region Frankfurt Rhein-Main erleben, denn die kleinen Kelterer schenken nur für den Bedarf ihrer Gäste aus. Für einen »Export« in andere Bundesländer reicht die Menge nicht. Selbst die wohlschmeckenden Produkte der großen Keltereien werden bei weitem nicht in ganz Deutschland angeboten - weil man dort noch nicht auf den guten Geschmack gekommen ist. In diesem Jahr darf man sich auf einen besonders guten Apfelwein freuen, denn die Bäume auf den Streuobstwiesen haben so üppig getragen wie selten zuvor. Ein später Sonnenschein sorgte zudem für einen relativ hohen Zuckergehalt von etwa 48 Grad Öchsle.
Es ist kein Zufall, wenn beim Apfelwein in ähnlichen Begriffen gesprochen wird wie beim Wein. Mit der Herstellung des Apfelweins in größerem Maßstab begann man im 16. Jahrhundert, als Rebkrankheiten den Weinanbau, der bis dahin im Raum Frankfurt reichlich betrieben worden war, stark beeinträchtigten. Einen weiteren Schub gab es im 18. Jahrhundert. Viele Wirte waren gezwungen, sich nach einer Alternative umzu-sehen, und so entstanden die ersten Apfelwein-Wirtschaften. Als Erkennungszeichen musste jeder, der Apfelwein ausschenken wollte, einen grünen Kranz vor seine Wirtschaft hängen. Diese Tradition hat sich bis heute erhalten. Wer beispielsweise durch Frankfurts Stadtteile Sachsenhausen oder Bornheim spaziert, wird viele Gaststätten mit dem grünen Kränzchen am Eingang finden. Die urig-typischen Apfelweinwirtschaften sind jedoch in der gesamten Region verbreitet - zum Teil mit einer Hausgeschichte von 100 Jahren und mehr.
Traditionsgemäß wird der Apfelwein in einem blaugrauen Tonkrug serviert - dem so genannten Bembel. Getrunken wird er aus einem leicht geriffelten Glas, dem »Gerippten«. Ein echter Apfelweintrinker genießt seinen Apfelwein pur, nur in Ausnahmefällen trinkt er mal einen Gespritzten, einen mit Mineralwasser verdünnten Apfelwein. Unzumutbar für viele Apfelweinkenner ist ein Süßgespritzter, bei dem der Apfelwein mit Limonade gemischt wird. Während der kalten Jahreszeit wird der Apfelwein auch gerne heiß und mit Gewürzen versetzt getrunken (ein gutes Mittel gegen Erkältungssymptome). Im Sommer kann man dem Apfelwein Erdbeeren hinzufügen für eine Bowle. Inzwischen gibt es sogar Apfelschaumwein, der den Vergleich mit einem guten Sekt nicht scheuen muss. Eine Besonderheit ist der »Speierling«: Benannt nach den kleinen Früchten einer Ebereschenart, deren unvergorener Saft dem Apfelwein zugesetzt wird. Er sorgt mit seinen Gerbstoffen für einen besonders gehaltvollen, herben Geschmack.
Apfelwein gilt als anregendes alkoholschwaches Getränk, das nicht müde macht, sondern Kreislauf und Nervensystem günstig beeinflusst. Aus medizinischer Sicht wird dem Getränk eine gefäßerweiternde Wirkung, eine bessere Gehirndurchblutung und Verzögerung des Alterungsprozesses bescheinigt. Außerdem hat Apfelwein mit knapp 85 Kalorien pro 0,25 Liter nur ein Drittel bis halb so viel Brennwert wie andere alkoholische Getränke oder Fruchtsäfte.

Artikel vom 20.01.2007