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Tragik-Komik des Scheiterns

Ullmann-Melodram »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Mülleimer, Neonlicht und eine kahle Behausung - am trostlosen Dasein des Obdachlosen besteht kein Zweifel. Und doch gibt es etwas, woran das Herz unseres Tippelbruders zu hängen scheint: Der Band mit Rainer Maria Rilkes Dichtung »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke«.

Dieses vordergründige Heldenepos über das Soldatenleben, 1899 von Rilke in angeblich nur einer Nacht hingeschrieben, ist ihm kostbar. Sorgfältig eingewickelt in Geschenkpapier und Schleife, zieht es der Landstreicher aus seiner Manteltasche und beginnt, hörbar und sichtlich bewegt daraus zu rezitieren. Fast scheint er sich mit der Geschichte über den Fahnenträger, der um 1663 beim Feldzug gegen die Türken Lust und Leid des Soldatenlebens kennen lernt und schließlich den Tod findet, zu identifizieren. Vielleicht ist ihm das Büchlein auch ein letztes Erinnerungsstück an eine bessere Zeit, da er nicht auf der Straße lebte, sondern sich als etabliertes Mitglied der Gesellschaft mit Kunst und Literatur beschäftigte.
Was den Penner in Birgit Kronshages Inszenierung mit dem Cornet in dem von Viktor Ullmann für Sprecher und Klavier eingerichteten Melodram gemeinsam hat, ist das Scheitern. Es prädestiniert den von Ulrich Neuweiler mit großer Authentizität gespielten Obdachlosen dafür, sich mit dem jungen Fähnrich von Landau zu identifizieren. Dessen Schicksal setzt Gefühle in ihm frei, die in der Enge des Opernstudios unmittelbar an den Zuschauer weitergegeben werden können, obgleich die Sichtverhältnisse in der dritten Reihe schon nicht mehr optimal sind und am Boden oder anderen Ende des Raums stattfindende Aktionen keine Chance auf eine visuelle Rezeption haben.
Pseudohaft wirkt die Einbindung des Pianisten ins Geschehen, der immer mal wieder besorgt aufsteht und Ausschau hält, wenn Neuweiler die Pferde durchzugehen scheinen. Nichtsdestotrotz setzt Eberhard Fritsche den Klavierpart mit aller gebotenen Umsicht für Dramatik, Melancholie und Lautmalerei um.
Mit einem pfiffigen Regiezug wartet Kronshage ungefähr in der Mitte des einstündigen Stücks auf: Konnte man bis dahin noch mutmaßen, die Affinität zu einer dreieinhalb Jahrhunderte zurückliegenden Heldengeschichte entspringe einem vom Alkohol vernebelten Verstand, so räumt der Traubensaft, den der obdachlose Rilke-Rezitator in die Rotweinflasche füllt, mit diesem Vorurteil auf und verpasst dem Ganzen damit noch eine tragisch-komische Note. Dieses Changieren findet sein Pendant in der Musik Viktor Ullmanns, der das Melodram 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt schuf, kurz bevor er in Auschwitz ermordet wurde. Nach der Uraufführung von Ullmanns Oper »Der Sturz des Antichrist« 1995 ist es das zweite Werk des in Vergessenheit geratenen Komponisten, das vom Theater Bielefeld aus der Dunkelheit ins Rampenlicht befördert wird. Allein das ist einen Applaus wert.

Artikel vom 16.01.2007