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Folklore mal schmissig,
mal archaisch

Philharmoniker auf Enescu gestimmt

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wer immer nur auf der Autobahn fährt, dem entgehen die an der Landstraße gelegenen Perlen und Kleinode, hatte Peter Kuhn unlängst bei einem öffentlichen Diskussionsforum bemerkt. Seinen Bildungsauftrag ernst nehmend, setzt der GMD immer wieder mal solch unbekannte Petitessen auf den Konzertplan.

Beim vierten Freitags- beziehungsweise dritten Sonntagskonzert der Saison galt die Aufmerksamkeit dem rumänische Kosmopliten George Enescu (1881 - 1955). Sein virtuoses Talent auf Klavier und Violine war ihm zu Lebzeiten ebenso von Vorteil, wie es posthum hinderlich war, ihn als Komponist angemessen zu würdigen. Ein Umstand, dem das Musiktheater mit der Oper »Ödipus« (letztmalig am 25. Januar zu erleben) und das Philharmonische Orchester mit einer »Hommage an George Enescu« erfreulich entgegenwirkt.
Die Gegenüberstellung von Früh- und Spätwerk ermöglichte dem Publikum zugleich, die Entwicklung des Komponisten nachzuvollziehen, der in seiner Musik sowohl volksmusikalische Einflüsse verarbeitete wie er auch die musikalischen Traditionen unterschiedlichster Herkunft aufgriff.
Enescus »Rumänische Rhapsodie in A-Dur« gilt zwar als das meistgespielte Werk seines überschaubaren Îuvres, hat mit seiner eigentlichen Tonsprache indes wenig gemein. Brillant für großes Orchester instrumentiert, führt das Werk ausschweifend volkstümliche Melodien vor. Ausgangspunkt bildet die »Doina«, eine typisch rumänische Hirtenmelodie, mit der Klarinette und Oboe melancholisch einen Tanzreigen eröffnen, der sich zur kunst- und lustvollen Folkore steigert. Der enorm mitreißenden Impulskraft des Werkes trug Peter Kuhn mit raffinierten Rubati und ausgefeilter Dynamik Rechnung. In einer fein austarierten Steigerungkette spulte das schwungvoll servierte Stück seinem fulminanten Höhepunkt entgegen, ohne je an Transparenz oder Spannkraft einzubüßen -Êein Umstand, der sowohl der hochstehend präzisen Musizierkunst als auch der offensichtlichen Spielfreude der Philharmoniker geschuldet war.
Folkoristisch gefärbt ist auch die 37 Jahre danach entstandene »Suite villageoise«, in der Enescu frühe Kindheitserfahrungen verarbeitet. Musikalisch vermeidet der Komponist jedoch jeden folkloristischen Schmiss, sondern findet zu einer archaisch-avantgardistisch anmutenden Musik, die Klänge und Farben der Kindheit mit radikalen Mitteln heraufbeschwört. Den Notentext minutiös und effektvoll ausgehorcht, gelang eine atmosphärisch dichte, visionäre und empfindungsreiche Wiedergabe, die wie auch schon die Rhapsodie großen Beifall fand. Über den Mittelteil mit Bachs Violindoppelkonzert freilich kann man geteilter Meinung sein. Bei zwei ausgewiesenen, eigens aus Holland »eingeflogenen« Spezialisten für Alte Musik hätte man mehr Griffigkeit und barockes Affetto in den Ecksätzen sowie mehr Sentiment im Largo wohl erwarten können. Verhalten im Gesamtklang, nahm der bewegte, schwungvolle Zugang gleichwohl für sich ein.
Ê Eine Aufzeichnung des Konzertes erklingt am 24. Januar ab 20.05 Uhr auf WDR 3.

Artikel vom 15.01.2007