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In der Ruhe liegt die Kraft

Am Ammersee finden die Handballer alles, was sie vor der WM brauchen

Von Oliver Kreth
Herrsching (WB). Irgendwo im Handball-Nirgendwo Bayern. Südwestlich von München, wo die schnelle Ballsportart den Kampf gegen die Kicker klar verloren hat. Da bereitet sich die deutsche Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft vor, die am nächsten Freitag in Berlin gegen Brasilien beginnt.

Bundestrainer Heiner Brand suchte für die Vorbereitung vor allem Ruhe und Abgeschiedenheit. Deshalb hatte der 54-Jährige auch an die Verlegung des Trainingslagers ins Ausland gedacht: »Doch da gab es Probleme mit der Kombination Hotel/Halle.« Oder wie andere erzählen, auch Schwierigkeiten mit den Sponsoren des Deutschen Handball-Bundes.
Man entschied sich für Herrsching am Ammersee, der dem Hotel, das direkt an der Promenade liegt, den Namen gab. Extra für die Nationalmannschaft öffnete die Drei-Sterne-Herberge (die Klinsmann-Kicker taten es nicht unter fünf) im sonst geschlossenen Januar, die Nikolaushalle ist langsame fünf Gehminuten entfernt, einen Kraftraum haben nicht nur die Rekonvaleszenten zur Verfügung. Auch das Essen ist perfekt. DHB-Vize »Hotti« Bredemeier: »Der Koch bekam von den Spielern schon lang anhaltenden Applaus.«
Seit gestern herrscht wieder himmlische Ruhe in Herrsching. Nach dem Medientag, als mehr als 100 Journalisten für ein paar Stunden in die kleine beschauliche Herberge (30 Zimmer) einfielen, können die Brand-Buben wieder ihrem Job nachgehen, der WM-Vorbereitung.
Die spätestens um 7.30 Uhr beginnt. Angeführt von Prof. Dr. Klaus Baum von der Kölner Sporthochschule joggen sie dann knapp 20 Minuten über die längste Seepromenade Deutschlands. Das Warmlaufen ist zwar freiwillig, doch der Teamgeist zählt: Gestern waren alle Gesunden dabei. Sogar der Regisseur des Dokumentarfilms über die Handball-WM, Winfried Oelsner (34). Oelsner: »Die Jungs haben gesagt, wir seien Teil des Teams und deshalb sollten auch mein Kameramann Frederik Walker und ich dabei sein.«
Um 10 Uhr ging es weiter, bei einem nicht öffentlichen Training. In der Nikolaushalle hält sich sonst Bezirksoberligist TSV Herrsching (derzeit Tabellen-Sechster) fit. Und gewisse Dinge haben sich seit den Zeiten, als Brand in der Gummersbacher Sporthalle noch aktiv war, nicht geändert. Der Fußball ist die heimliche Leidenschaft der Handballer. Brand ließ Alt gegen Jung antreten, und weil im Team der »Senioren« einer fehlte, fragte »Flo« Kehrmann: »Heiner, spielst du mit?« Der Bundestrainer quälte sich von der Massagebank und mischte mit. Zwar steuerte er keinen Treffer bei, aber die älteren Herren siegten 5:2. Kehrmann traf zwei Mal, Michael Hegemann ein Mal und Rolf Herrmann ebenfalls ein Mal - allerdings ins falsche Tor. Die Stimmung war prächtig, und nach dem Triumph wurde noch ein Siegerfoto gemacht.
Parallel wurden die Verletzten behandelt. Holger Glandorf wurde massiert, Sebastian Preiß joggte ein wenig und passte danach dem Physiotherapeuten Bälle zu.
Nach dem Mittagessen und der Zeit zur freien Verfügung ging es dann am Nachmittag (16 Uhr) zur dritten Einheit - einem handballspezifischen Training. Diesmal wirklich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am Abend suchte man dann die klösterliche Ruhe. In Andechs wurde getafelt und gute Stimmung verbreitet.
Heiner Brand kann zufrieden sein. Sein Konzept scheint aufzugehen: Viel Ruhe und wenig Hype werden für ein Handball-Winterfest sorgen. Und in Herrsching wird man stolz sein, dazu auch etwas beigetragen zu haben.
l Michael Steinbrecher begrüßt am Samstag nach der Boxübertragung Bundestrainer Heiner Brand und Nationalmannschaftskapitän Florian Kehrmann vom TBV Lemgo im »ZDF-Sportstudio«.

Artikel vom 12.01.2007